DOUGLAS SMITH: „UND DIE ERDE WIRD ZITTERN“


Verrückter Mönch, heiliger Teufel, Märtyrer und Heiliger Mann – all das und noch viel mehr hat man Rasputin genannt, die wohl berühmteste und berüchtigste Persönlichkeit der russischen Geschichte. Wer aber war dieser 1869 in einem westsibirischen Dorf geborene Bauer und spätere Wanderprediger wirklich?
Zahlreiche Biografen haben sich mit den Legenden und Zerrbildern um den angeblichen Wunderheiler, Einflüsterer und Wüstling befasst. Trotz aller Bemühungen sind sie jedoch diffus und widersprüchlich geblieben. Um so verdienstvoller und fundierter ist die große umfassende Biografie von Douglas Smith unter dem Titel „Und die Erde wird zittern. Rasputin und das Ende der Romanows“.
Der amerikanische Historiker und Russland-Experte übertrifft seine Vorgänger nicht nur hinsichtlich der immensen Breite des zu Rate gezogenen Materials. Zwei Aspekte sind entscheidend für die hohe Qualität seines Werkes: seiner Quellenforschung standen nicht nur etliche europäische und amerikanische Archive offen sondern vor allem russische, die bis zur Jahrtausendwende schlicht unzugänglich waren.
Noch wichtiger für die möglichst realistische und objektive Analyse von Leben und Wirken Rasputins aber war seine konsequente Beschränkung auf jene Quellen, die zu dessen Lebzeiten entstanden sind. Wobei Smith deutlich seiner Skepsis Ausdruck gegenüber den vielen Memoiren und Deutungen gibt, die erst nach der Ermordung des verhassten Mönchs im Dezember 1916 entstanden und Grundlage für viel Halbwissen und teils groteske Legenden wurden.
Der Historiker beschreibt zunächst den Weg des Grigori Jefimowitsch Rasputin vom Bauernsohn über dessen Familienbildung und Erweckungserlebnissen bis hin zum Wanderprediger. Eingebettet wird dieser Werdegang in die russische Geschichte und hier insbesondere die von Nikolaus II., der eigentlich nie hatte Zar werden wollen, sowie der deutschstämmigen und nie richtig assimilierten Zarin Alexandra.
Die Abkapselung und Weltfremdheit der Beiden hatte schon vor der ersten Begegnung mit Rasputin zu einem massiv gestörten Verhältnis zu Adel und gehobenen Ständen geführt und die allgemeinen gesellschaftlichen Missstände mündeten 1905 schließlich in die erste, gewaltsam niedergeschlagene Revolution. In dieser Zeit kam Rasputin nach Sankt Petersburg und es liest sich faszinierend, wie schnell dieser alsbald zum Salonlöwen gewordene Mönch im November desselben Jahres so intensiv das Vertrauen des Zaren gewann, dass er dem sich immer noch absolutistisch wähnenden Herrscher Ratschläge erteilen durfte.
Noch entscheidender aber wirkte sich seine offenkundige Fähigkeit aus, den lebensgefährlich kranken Thronfolger Alexei zu heilen. Das Zarenpaar hatte aus dynatischen Gründen nach außen hin verschwiegen, dass der Zarewitsch mit der Bluterkrankheit geboren war und wiederholt auf den Tod daniederlag. Rasputin jedoch gelang es mehrfach, dass sich der Junge erholte. Bald hatte Rasputin besonders dadurch ein derart enges Vertrauensverhältnis zur Zarin aufgebaut, dass er sie sogar ohne Wissen des Zaren in dessen Abwesenheit besuchte.
Das wie auch sein ansonsten wildes Treiben mit Saufgelagen und wilden Sexgeschichten mit hochstehenden Damen, sorgte 1912 für einen solchen Skandal, dass es fast das Zarentum gestürzt hatte. Die Empörung über den groben, schmutzigen Emporkömmling war deswegen, aber auch wegen seiner lästerlichen Reden nicht nur in der oberen Gesellschaft und Regierungskreisen sondern auch bei der ebenso prunksüchtigen wie machtbewussten Orthodoxen Kirche groß. Und wurde ständig angefeuert durch immer neue Diffamierungen bis hin zur Dämonisierung des Unholdes als Frauenschänder und Landesverräter.
Douglas Smith legt hier überzeugend dar, dass für den Wirkungsgrad Rasputins nicht die Tatsachen oder die Aussagen des charismatischen Mönchs ausschlaggebend waren, sondern all das, was kolportiert wurde. Die Wahrnehmung seines Treibens, egal ob aufgebauscht, verfälscht oder schlicht erfunden, formte das Bild. Wobei Hetze und Hass mit Beginn des Ersten Weltkriegs sich ins Maßlose verschärften, je mehr der Niedergang des Zarenreiches sich abzeichnete.
Im Übrigen war Rasputin erwiesenermaßen kein Dauergast bei Hofe und hatte weder finanzielle noch machtpolitische Ambitionen. Vielmehr belegt Smith anhand seiner Briefe und Interviews, dass er eher schlicht, naiv und schwärmerisch war. Und zum Schluss versagte sogar noch sein Instinkt: „Im letzten Jahr seines Lebens hatte der sechste Sinn für Menschen ihn wohl verlassen.“ So ging er trotz selbst geäußerter Vorahnungen seines Todes – dem der Untergang des Reiches folgen werde – in die Falle der Mörder um Fürst Jussupow.
Douglas Smith hat das Alles nicht nur glänzend recherchiert, es ist auch so lebendig und mitreißend geschrieben, dass es trotz der ungeheuren Fülle an Informationen und Details nicht erdrückt. Fazit: dies dürfte die seit langem ausstehende ultimative Biografie zu Rasputin sein und damit zugleich ein brillantes Standardwerk zu dieser weltbewegenden Epoche der russischen Geschichte.

# Douglas Smith: Und die Erde wird zittern. Rasputin und das Ende der Romanows (aus dem Amerikanischen von Cornelius Hartz, Martin Richter und Bernd Rullkötter); 896 Seiten, div. SW-Abb.; Theiss Verlag, Darmstadt; € 38

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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