LAURA SPINNEY: „1918 – DIE WELT IM FIEBER“


Guillaume Apolliniaire hatte eine Kriegsverletzung noch nicht ganz im Lazarett auskuriert, als ihn die fatale Seuche heimsuchte. Als er im November 1918 starb, hatte sich seine Haut bereits tiefschwarz verfärbt. Der französische Dichter gehörte zu den berühmtesten Opfern der sogenannten Spanischen Grippe, die weltweit schier unglaubliche Opferzahlen hinterließ.
Um so erstaunlicher ist die Tatsache, dass man zwar allgemein von den Seuchenzügen der Schwarzen Pest im Mittelalter weiß, diese an Opfern aber größte Katastrophe aller Zeiten quasi eine Randnotiz der Geschichte geblieben ist. Dem tritt nun die renommierte britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney mit ihren exzellent recherchierten Sachbuch „1918 – Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte“ entgegen.
Schon die allgemein eingebürgerte Bezeichnung beruht auf einem Irrtum, denn in Spanien gab es erst im Mai 1918 die ersten Fälle. In etlichen Ländern aber, in denen die Epidemie bereits weitaus schlimmer grassierte, fielen derartige Informationen aus naheliegenden Gründen unter die Zensur, denn noch immer tobte der Erste Weltkrieg. Diese erste offizielle Verlautbarung aus dem neutralen Spanien sollte deshalb die Bezeichnung dauerhaft prägen.
Die eigentliche Herkunft war jedoch ebenso ungewiss wie der Auslöser dieser „Grippe“, die die Menschen mit Hals- und Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und hohem Fieber und häufig auch mit blutigem Husten regelrecht überfiel. Erster angenommener Krankheitsfall war offenbar der Koch einer Militärgarnison in Kansas, USA, der sich mit den Symptomen beim Arzt meldete. Der befand den Fall für nicht alarmierend, doch noch am selben Tag erkrankten reihenweise weitere Soldaten.
Schon 1917 hatte eine unbekannte Atemwegskrankheit ganze Dörfer in Nord-China heimgesucht. Von dort aus wurden dann Anfang 1918 tausende von Arbeitern zur Unterstützung zu den Alliierten entsandt. Im selben Jahr hatte in einem Militärlager in Nord-Frankreich ebenfalls eine grippeähnliche Welle viele Soldaten aufs Krankenlager geworfen. Als die Spanische Grippe jedoch im Frühjahr 1918 ihren Zug um die Welt antrat, wusste man weder, welcher der Ausgangspunkte entscheidend war, noch, dass es sich beim Auslöser um einen Virus handelte, der durch Tröpfcheninfektion zur rapiden Erkrankung führte.
Doch dies war nur die erste Welle mit vielen Kranken aber noch wenigen Todesfällen. Umso heftiger rauschte im Herbst die zweite Welle um die Welt und sie traf auf die vom langen Krieg geschwächten Soldaten und auf ausgehungerte Zivilbevölkerungen. Hinzu kamen die kriegsbedingten dichten Menschenansammlungen an der Front, bei Truppentransporten und in Feldlagern.
Längst hatten sich die Symptome mit Hautverfärbungen und blutigem Husten drastisch verschärft. Dem standen die Verantwortungsträger und Hilfswilligen ebenso hilflos gegenüber wie die Forscher, die verzweifelt nach Abwehrstoffen und Medikamenten suchten. Einen Grippeimpfstoff aber sollte es erst Jahrzehnte später geben und der mutmaßliche Erreger wurde sogar erst in den 90er Jahren dingfest gemacht.
Durch ein Fundstück aus den Zeiten dieser Pandemie konnte man auf einen Virus vergleichbar dem der Vogelgrippe H1N1 schließen. Mit der heimtückischen Dreingabe, dass er offenbar den Sprung auf die Spezie Mensch vollzogen hatte. Das machte ihn so fatal, denn dadurch waren die ohnehin allgemein schon geschwächten Abwehrmechanismen der Betroffenen quasi ohnmächtig jeder Infektion ausgeliefert.
Wobei zu vermerken ist, dass die Spanische Grippe weit überwiegend Menschen zwischen 20 und 40 Jahren befiel und überraschenderweise die sonst Grippeanfälligsten, nämlich Kinder und Alte, eher aussparte. Und sie hatte vermutlich sogar kriegsentscheidende Auswirkungen, denn die hohe Zahl von geschwächten oder gar kranken Soldaten trug das Ihrige zum Fehlschlagen der letzten deutschen Offensiven im Sommer 1918 bei.
Auf der Grundlage seriöser Quellen belief sich die Gesamtzahl der Opfer der Spanischen Grippe einschließlich der dritten Welle im Frühjahr 1919 auf mindestens 50 Millionen. Rund ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung wurde infiziert, wobei der unberechenbare Zug der Wellen sehr unterschiedliche Ausmaße des Seuchenverlaufs verursachte. Die Autorin beschreibt auch die hohen Anstrengungen, Mittel gegen die Krankheit zu finden, was teilweise zu abstrusen Ritualen oder drakonischen Zwangsmaßnahmen führte.
Mit Opferzahlen weit über denen des gesamten Ersten Weltkriegs kann und darf diese Pandemie keine Randnotiz der Geschichte mehr sein. Laura Spinney hat mit diesem sehr lebendig geschriebenen Buch einen glanzvollen Beitrag dazu geleistet.

# Laura Spinney: 1918 – Die Welt im Fieber. Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte (aus dem Englischen von Sabine Hübner); 378 Seiten, div. Abb.; Hanser Verlag, München; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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