JUDITH W. TASCHLER: „DAVID“


Tragisch, vielschichtig und wunderschön ist die raffiniert verwobene Mehrgenerationsgeschichte, die die österreichische Erfolgsautorin Judith W. Taschler in ihrem mittlerweile fünften Roman erzählt. „David“ heißt der Titel, obgleich es einen solchen nur für eine ganz kleine Zeitspanne unter diesem Namen gibt.
Eingangs steht der 18-jährige Jan fassungslos für dem Auto seiner Mutter, das kopfüber tief im Schnee steckt, nachdem sie es alkoholisiert gegen einen symbolträchtigen Baum geschleudert hat. Diesen Davidsahorn hatte einst David Millet seiner Frau Clara aus der französischen Kriegsgefangenschaft mitgebracht und hier nahe des Häuschens im kleinen Kirchberg eingepflanzt.
Die Geburt das bald gezeugten Sohnes Richard erlebt David nicht mehr, doch Clara kann den Jungen als Volksschullehrerin auch so gut durchbringen. Aber auch er stirbt recht früh, als er mit seiner Frau im Amerika-Urlaub einen Unfall hat. Wodurch beider Tochter Magdalena schon mit sechs Jahren zur Waise wird, doch einmal mehr zieht Clara ein Kind auf, nun als Großmutter.
Das Schicksal schlägt allerdings nach gerade weiteren sechs Jahren ungnädig wieder zu, als Magdalena die geliebte Oma durch einen plötzlichen sanften Herztod verliert. Die nächsten Jahre im Heim sind von tiefer Melancholie geprägt, bis sie sich als Teenager in Erik verliebt. Der verlässt sie jedoch schnöde, als er die Chance bekommt, zu seinem Vater in die USA zu gehen.
Magdalena aber bleibt nicht nur verzweifelt zurück, sie ist obendrein schwanger und entscheidet sich trotzig dafür, dieses Kind zu bekommen. Mit eben 17 bringt sie einen kleinen Jungen zur Welt, um ihn jedoch nach einem Jahr notgedrungen zur Adoption freizugeben. Und es erfolgt erneut ein Sprung in dem kunstvoll verschachtelten Roman, in dem der ebenso lebenslustige wie bindungsscheue Jan durch einen Brief Verstörendes über seine Identität und Herkunft erfährt: dass die bei dem Autounfall verstorbene Frau nämlich seine Adoptivmutter war und er ursprünglich David geheißen hat.
Jahrzehnte später treffen ausgerechnet Jan und Magdalena aufeinander und es ist keine sehr harmonische Begegnung. Magdalena ist gerade nach vielen Jahren im Ausland nach Kirchberg zurückgekehrt, um Oma Claras hinterlassenes Haus wieder herzurichten. Und sie reagiert harsch, als sie Jan entdeckt, der sich an dem alten Davidsahorn zu schaffen macht.
Judith W. Taschner hat hier eine überaus komplexe Geschichte aufgebaut, bei der es um Liebe und Freundschaft, Verluste und Bindungsängste geht. In all das führen insbesondere auch die lebenslangen Folgen einer Adoption und diesen Aspekt meistert die Autorin mit großem Geschick, zumal sie aus eigener Erfahrung als Adoptivkind schreibt.
Fazit: ein sensibles, fesselndes Familienpuzzle, das hohe Konzentration verlangt, dafür aber auch mit einem literarischen Hochgenuss belohnt.

# Judith W. Taschler: David; 236 Seiten; Droemer Verlag, München; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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