JONATHAN SWIFT: GULLIVERS
REISEN
Pünktlich zum 350. Geburtstag von Jonathan Swift (1667-1745) kommt nun als
Jubiläumsausgabe sein legendärer Gulliver-Roman in der frischen Übersetzung von Christa
Schuenke heraus. Gullivers Reisen, erstmals 1726 veröffentlicht, zählt zu
den größten Werken der Weltliteratur und hat darüber hinaus nichts von seiner
Aktualität eingebüßt.
Wer allerdings meint, die Abenteuer des Schiffsarztes Lemuel Gulliver seien Lektüre für
Kinder, liegt völlig falsch. Mag der erste Teil mit der Reise nach Liliput mit den
dünkelhaften Zwergen auch eher drollig und märchenhaft erscheinen, so erweist sich schon
die Reise zu den tumben Riesen, die zwölf Mal größer als Gulliver sind, eher für
Erwachsene geeignet.
Vollends zur überaus intellektuellen und vor allem bissigen satirischen Lektüre aber
wird Teil 3 der Reiseschilderungen - übrigens ursprünglich als der vierte entstanden
mit der fliegenden Insel Laputa. Die Begegnung mit Figuren der Antike wie auch mit
völlig weltfremden Wissenschaftlern wurde als Swifts ironische Abrechnung mit den
Geistesgrößen der eben gegründeten Royal Academy angesehen.
Die Krönung seiner zeitlos gültigen Generalabrechnung mit Dummheit und
Selbstüberschatzung der menschlichen Spezies aber bietet schließlich der vierte
Reisebericht, als Gulliver in die Welt der Honhhnhnms kommt. Das sind edle, durchgeistigte
Pferde, die zudem so sprachbegabt sind, dass Gulliver sich mit ihnen verständigen kann.
Seine Enttäuschung über diese scheinbar wunderbare Utopie einer besseren Welt ist jedoch
um so größer, als er entdecken muss, dass sich diese Herrschaften quasi als Sklaven die
einfältigen Yahoos halten sehr menschenähnliche Geschöpfe.
Und da Gulliver selbst eine Art Yahoo ist, wird er auch prompt von der gar nicht so
hochherzigen Insel verbannt. Swift spickt seine Reiseberichte dabei mit teils bitterbösen
Spitzen gegen staatliche Willkür, gegen die Kirche und das Rechtswesen. In der Art
starker und oft rigoroser Überzeichnungen ist er damit zugleich ein ganz früher
Satiriker, der Reales bis zur Lächerlichkeit überdreht.
Es wundert wenig, dass nach vielen Glättungen bis hin zu Verstümmelungen der
Texte der vollständige Gulliver erst Anfang des 20. Jahrhunderts wieder erhältlich war
und auch dann erst in Gänze ins Deutsche übertragen wurde. Christa Schuenke aber nahm
2006 eine Übersetzung auf der Grundlage des Originaltextes von 1726 vor, die als
kongenial bezeichnet werden darf.
Ihr großes Verdienst um den echten Gulliver liegt aber gerade auch in ihrer
sprachlichen Umsetzung in eine Art Goethe-Deutsch, die sie geschickt auf Alt getrimmt hat.
Fazit: großartiger hätte man diesen so gegenwärtigen Klassiker kaum gestalten können
als mit dieser Fassung aus der Manesse-Bibliothek.
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