NEAL SHUSTERMAN: „SCYTHE – DIE HÜTER DES TODES“


Armut, Kriege und Krankheit gibt es nicht mehr in der Welt, in der die Teenager Citra und Rown leben. Im Jahr 2042 wurde schließlich auch der natürliche Tod besiegt und gegen die Unerfreulichkeiten des Alters kann man sich bis hin zum Alter von 21 Jahren „resetten“ lassen. Doch – eine perfekte Welt hat auch ihren Preis.
Davon erzählt US-Erfolgsautor Neal Shusterman in „Scythe. Die Hüter des Todes“, dem Auftaktband zu einer neuen Trilogie. Der Datenpool Thunderhead als höchste Instanz allen Wissens regelt nahezu alles in dieser Welt mit mehr Rationalität, Moral und Ethik, als dies je ein Mensch vermocht hätte. Allerdings macht es die Differenz zwischen Bevölkerungswachstum und den Fähigkeiten des Thunderheads erforderlich, regelmäßig für ein gewisses Maß an Reduzierung zu sorgen.
Dazu wurde das Scythetum ins Leben gerufen, in denen Scythes (Scythe = die Sense, der Sensenmann) als Hüter des Todes eine Art heilige Mission im Dienste der Gesellschaft erfüllen. Sie wählen nach eigenem Gutdünken jene Personen aus, die ohne Vorwarnung aufgesucht und „nachgelesen“ werden, wie sie den einzigen noch existierenden Akt des endgültigen Todes nennen. Die ehrfurchtgebietenden Gestalten in den bodenlangen Roben – in allen Farben, nur Schwarz ist nicht erlaubt – stehen über dem Gesetz.
Und ihr Erscheinen bringt die einzige Furcht, die die Menschen in diesem Paradies noch haben müssen. Selbst Tode durch Selbstmorde als spezieller Adrenalin-Kick werden klinisch behoben, der durch das Nachlesen aber ist endgültig. Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die Charaktereigenschaften eines Scythe. Als Citra und Rowan vom altehrwürdigen Scythe Faraday für die Ausbildung in dieses heikle Amt auserkoren werden, wehren sie sich mit Händen und Füßen dagegen. Doch genau das ist die wichtigste Voraussetzung für das hohe Amt – es nie sein zu wollen.
So müssen die Beiden nun die Fähigkeit eines Scythe erlernen und allen voran sind das die vielen Arten des Nachlesens, bei dem sie bereits während der einjährigen Ausbildung assistieren müssen. Was die Beiden aber erst später erfahren: nur einer von ihnen wird ein Scythe werden und dessen erster Auftrag wird das Nachlesen des Unterlegenen sein.
Auch das aber entwickelt sich zunächst recht langsam, denn dieses ausgesprochen komplexe System gilt es fundiert zu erläutern. Doch von Beginn an gibt es immer wieder bereits Passagen, die frösteln lassen, denn das Nachlesen ist allgegenwärtig und nicht alle der gefürchteten Gestalten erfüllen ihre Aufgaben so dezent und würdevoll wie Scythe Faraday. Zudem kommt es zuweilen zur Gegenwehr eines Ausgewählten. Mit der fürchterlichen Folge, dass er sein Unglück damit auf seine gesamte Familie ausdehnt.
Andererseits tauchen Fälle von Gruppen- und sogar Massen-Nachlesen auf, bei denen sich mit Scythe Goddard einer der Hüter des Todes als selbstherrlich und barbarisch erweist. Und man fragt sich zunehmend, wie verheißungsvoll und paradiesisch diese perfekt Welt wirklich ist. Vor allem aber – sind auch alle Scythes perfekte Vertreter ihres hohen machtvollen Amtes?
Diese Frage soll bewusst offen bleiben, denn das Alles entwickelt sich ungemein fesselnd und mit manchen starken Wendungen und Überraschungen. Auch die Charaktere sind bei all der beinahe unterkühlt sachlichen Prosa hervorragend gelungen. Wer sich aber auf diese brillante Mischung als Utopie und Thriller einlässt, erlebt neben sehr komplexen Fragen nach Moral und Ethik auch manche schwer zu ertragenden Szenen.
Und selbstredend ist in dieser Welt ohne natürlichen Tod das Sterben quasi allgegenwärtig, weshalb denn auch die Altersempfehlung erst ab 16 Jahre lautet. Fazit: ein starker Auftakt für eine dunkle Dystopie in einer nach außen hin so strahlend hellen Welt.

# Neal Shusterman: Scythe – Die Hüter des Todes (aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze und Pauline Kurbasik); 513 Seiten; Sauerländer Verlag, Frankfurt; € 19,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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