HARRY BINGHAM: FIONA
ALS ICH TOT WAR
Von allen aktuellen Krimi-Heldinnen dürfte die kaum 30-jährige Fiona Griffith die
ungewöhnlichste und damit auch die spannendste sein. Hauptgrund: sie rickt nicht richtig,
das aber in hinreißender Manier.
Harry Bingham hat die attraktive Polizistin erfunden und mit dem dritten Band seiner Serie
unter dem Titel Fiona Als ich tot war sollte auch bei uns endlich der
Durchbruch zur ersten Liga gelingen. Der Autor hat Fiona eine Vita mitgegeben, die es in
sich hat. Von ihrem Vater, an dem sie sehr hängt, erfährt man Undeutliches aus einer
offenbar kriminellen Vergangenheit.
Entscheidend für ihre spezielle Art aber ist das seltene Cotard-Syndrom, an dem sie
leidet. Diese sehr komplexe Krankheit ist verbunden mit einer massiven Ich-Störung und
oft mit Anfällen bipolarer Störungen. So unkonventionell und intelligent Fiona
einerseits ist, so schwer tut sie sich mit Emotionen und der Selbstwahrnehmung. Zeitweise
gelingt es ihr kaum, nach ausgeflippten Phasen auf den Planeten Normal
zurückzukommen, als den sie das normale Leben bezeichnet.
Trotz dieser Belastungen hat sie jedoch schon einige Erfolge als Kriminalbeamtin
vorzuweisen. Zu ihrem ziemlich verkorksten aber ganz und gar nicht unsympathischen
- Charakter gehört auch ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsbewusstsein. Das, gepaart mit
hohem Schaffensdrang, versauert ihr nun jedoch die langweilige Recherche in einem
Betrugsdelikt, zu der man sie als Neuling im Revier South Wales in Cardiff vergattert hat.
Bei der sie jedoch prompt auf zwei Todesfälle stößt, die mehr als nur
Kollateralschäden eines größeren Dings zu sein scheinen. Nun hat Fiona aber soeben eine
Spezialausbildung für Undercover-Einsätze gerade wegen ihrer
Persönlichkeitsmerkmale - mit Bravour bestanden. Und ihre Vorgesetzten schleusen sie als
Fiona Grey mit einer ausgetüftelten Legende in die Buchhaltungsabteilung
eines betroffenen Unternehmens ein.
Fiona Grey wird schnell zur Beute der Drahtzieher der Tinker-Bande, die
offenbar ein ganz großes Ding aufziehen will. Sie jobbt schwarz als Putzfrau, obwohl sie
offiziell Buchhalterin ist. Und sie ist total erpressbar, denn laut Legende wird sie wegen
einer Messerattacke in Birmingham polizeilich gesucht. Wie Fiona nun in dieses Geflecht
eines Falles einsteigt, der riesige Betrugsdimensionen per Internet vermuten lässt, das
führt in die ebenso schizophrene wie gefährliche Doppelwelt der Undercover Agenten.
Dank ihrer psychischen Disposition gelingt es ihr glänzend, ganz in das neue Leben
einzutauchen. Doch der ebenso einfache wie geniale Coup, an dem sie nun unmittelbar
mitwirkt, geht größenmäßig in den dreistelligen Millionenbereich und Fiona bekommt im
hautnahen Kontakt zu Sicherheitschef Henderson mit, wie lässig und konsequent unsichere
oder nicht mehr benötigte Mitspieler entsorgt werden.
Als sie und die vielen anderen dienstbaren Geister in der hermetisch abgeschotteten
Geheimzentrale die Keylogger en gros ins Netz absetzen, entwickelt sich die
eingangs eher behäbig erscheinende Geschichte zu einem dramatischen filmreifen Finale und
Fiona erweist sich nach Phasen von Isolation und Verunsicherung als genau so
durchgeknallt, wie es die Situation erfordert.
Das ist Krimikost für anspruchsvolle Leser, die die komplexe Figur der Fiona erst nach
und nach einschätzen können, denn das Kennenlernen dieser schillernden Persönlichkeit
geschieht ja durch sie als Ich-Erzählerin. Und sie neigt nicht zur Auskunftsfreude oder
gar Geschwätzigkeit. Um so überzeugender hat Harry Bingham sie psychologisch entwickelt,
wie er auch mit knapper, zielführender Sprache durch diesen in vielem sehr realistischen
Roman führt. Und es gibt noch eine gute Nachricht: Band 4 der Serie mit Fiona Griffith
liegt bereits im Original vor.
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