STEPHEN A. SMITH: „REVOLUTION IN RUSSLAND“


100 Jahre Oktoberrevolution in Russland – ein weltbewegendes Ereignis jährt sich, doch ob es auch ein Grund zum Feiern ist, dürften viele Menschen mit gemischten Gefühlen sehen. Auf jeden Fall ist es ein Anlass für diverse Publikationen, bei denen die des britischen Historikers Stephen A. Smith herausragt, denn er beschränkt sich nicht auf das Jahr 1917.
Ohnehin einer der renommiertesten Experten in Sachen Russischer Revolution, umspannt sein Buch „Revolution in Russland. Das Zarenreich in der Krise 1890-1928“ weit mehr als nur diese Zäsur in der Weltgeschichte. Seine Chronologie der Ereignisse umschließt auch die Vorgeschichte und die beiden vorhergehenden Revolutionen sowie die folgenden Umwälzungen. Nutzen konnte er dabei zahlreiche neue, vor allem russische Quellen.
Der Geschichtsprofessor des All Saints Colleges der Universität Oxford beleuchtet in den ersten Kapiteln die Krise des Zarenreichs, das 1905/06 den ersten Revolutionsversuch übersteht. Der dabei entstandene Parlamentarismus spielt nur eine marginale Rolle, um so fataler wirkt sich die verheerende Entwicklung des Ersten Weltkriegs aus. Schwere Verluste und Hungersnöte führen dann im Februar 1917 zu der insgesamt eher spontanen Volkserhebung, die quasi über Nacht zur Abdankung des Zaren führt.
Bisher gern vernachlässigt, macht Smith deutlich, dass die nun ausgerufene Provisorische Regierung keine Legitimation durch eine Wahl hatte – im Gegensatz zu der im Oktober vom Kongress berufenen, auch wenn diese nun von Bolschewiken und Linkssozialisten beherrscht wurde. Das tragische Ende der ersten Revolution nach nur wenigen Monaten lag in der Unfähigkeit jener politischen Kräfte, die das Zarentum beseitigt hatten, denn gegen den allgemeinen Volkswillen setzten sie den Krieg fort.
Bolschewistenführer Lenin, der hier prägnant charakterisiert wird, nutzte Kriegsmüdigkeit und Verbitterung der Massen, um die bürgerlich-demokratische Revolution durch eine proletarisch-sozialistische hinwegzufegen. Radikal und wenig zimperlich riss er die Macht an sich und führte das Reich in Chaos, Anarchie und Bürgerkrieg. Spannend schildert der Historiker, wie sich die Bolschewiken umzingelt von Feinden durchsetzen.
Der Preis war entsetzlich hoch und zugleich wurden Gewalt und Terror unverzichtbare Herrschaftsinstrumente. Statt einer Diktatur durch die Arbeiterklasse entwickelte sich allerdings eine Diktatur der Partei über den gesamten Staat. Der massive Niedergang des Landes zwang Lenin dann jedoch Anfang der 20er Jahre zu einer Lockerung des Regimes und hier werden nun die spannenden Experimente analysiert, mit denen Lenin und nach dessen überraschendem Tod der noch rigorosere Stalin versuchten, der Krise Herr zu werden.
Es sind die bisher weniger thematisierten Entwicklungen der NÖP, der Neuen Ökonomischen Politik, in der Aufbauphase zwischen Bürgerkriegszeit und endgültigem Anbruch des Stalinismus, die nun beschrieben werden. Atemberaubend erscheint dabei aus heutiger Sicht das Ausmaß der Anstrengungen und der Opfer, die erbracht wurden, bis die neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung sich etablieren konnte.
Stephen A. Smith hat mit diesem Sachbuch nicht weniger als eine Gesamtgeschichte der Russischen Revolution verfasst mit der eigentlichen Oktoberrevolution als entscheidendem Wendepunkt mittendrin. Zu den großen Qualitäten der Darstellung zählt zudem, dass er sich nicht nur den zentralen Ereignissen in Petrograd widmet. Schlüsselregionen wie die Ukraine oder Städte wie Baku werden ebenso beachtet wie verschiedene Gesellschaftsgruppen bis hin zu nationalen Minderheiten.
Fazit: die Übersetzung hätte ein wenig eleganter sein dürfen, ansonsten aber ist dies ein hervorragendes Buch zum Thema und auf jeden Fall als Standardwerk zum Gesamtkomplex sehr zu empfehlen.

# Stephen A. Smith: Revolution in Russland. Das Zarenreich in der Krise 1890-1928 (aus dem Englischen von Michael Haupt); 496 Seiten, div. SW-Abb.; Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt;

€ 39,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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