IRENE DIWIAK: LIEBWIES
Kaum zu glauben, dass dies der Debütroman einer jungen Autorin ist, denn
Liebwies liest sich wie das souveräne Meisterwerk eines längst arrivierten
Literaten. Irene Diwiak sprüht in dieser Tragikomödie mit typisch österreichischer
satirischer Bissigkeit vor Fantasie.
Dabei wirkt die Geschichte irgendwie wie aus der Zeit gefallen, wenn da ein verbiesterter
Musiklehrer im Jahre 1924 leicht kriegsbeschädigt und von der Gattin düpiert das Weite
sucht und ausgerechnet in Liebwies landet. Ein solch elendes Kaff, dass es nicht einmal
auf der Landkarte verzeichnet ist. Doch Lehrer Köck entdeckt dort die Schwestern Karoline
und Gisela. Letztere ist eine blendende Schönheit mit bescheidener Stimme, Karoline
dagegen potthässlich, jedoch mit einem geradezu göttlichen Organ gesegnet.
Weshalb Köck seinen alten Freund Wagenrad in den Ort lockt, damit der Musikkritiker und
Mäzen dieses Talent fördere. Der aber verguckt sich beim Vorsingen sofort in Gisela,
zumal sie seiner verstorbenen Frau ähnlich sieht. Er nimmt sie mit in seine Villa in
Wien, wo es hinreißende Szenen von anrührender Komik mit der Landpomeranze gibt.
Besonders die Schilderung, wie sie die Schönheit ihres Körpers entdeckt und zum Narziss
wird, ist ein Schmankerl für sich.
Gegen jede Vernunft nährt Wagenrad derweil bei ihr die Gewissheit: Sie würde eine
große Sängerin werden. Die große Sängerin Gisela Liebwies. Wie sie sich nennt,
da sie nicht mal einen Nachnamen hat. Und er drückt durch, dass die Talentlose am
Konservatorium des berühmten Impresarios Zwirbel angenommen wird.
Doch selbst Wagenrad muss irgendwann einsehen, wie es mit ihren Gesangsfähigkeiten
aussieht. Also fordert er die Möglichkeit einer Oper, Gisela auf den Leib geschrieben,
aber praktisch ohne Arien für sie. Hier nun kommt eine zweite, noch hinreißendere Ebene
ins Spiel mit der betuchten Frau Pandinsky und ihren drei unehelichen Kindern. Die ebenso
unbeachtete wie unscheinbare Tochter Ida erweist sich als sehr musikbegabt, heiratet dann
jedoch aus Trotz den überaus selbstverliebten August Gussendorf.
Eine köstliche Kombination, denn der schwere Gockel ist bereits 60 und von überbordender
Selbstüberschätzung als Künstler, wogegen Ida längst ihre Neigung zum eigenen
Geschlecht entdeckt hat. Das Eheleben gestaltet sich aber nicht nur deshalb wenig
ersprießlich, doch sie nimmt sogar stoisch hin, dass er ihr obendrein das Komponieren
untersagt, schließlich ist er der Künstler und sie nur eine Frau.
An diesen vom eigenen Genius überzeugten Herrn jedoch tritt nun Zwirbel heran mit der
Bitte um die bewusste Oper. Natürlich sagt Gussendorf zu, worauf ihm dann aber nichts
Brauchbares einfällt. Bis er entdeckt, dass Ida sein Verbot missachtet und sogar so viel
komponiert hat, dass er daraus nun seine Oper erschaffen kann.
Diese Gräfin der Stille wird eine Verrücktigkeit zeitigt die
nächste, fast wie im richtigen Leben ein Sensationserfolg. Die weiteren
Entwicklungen allerdings laufen allmählich ins Tragische, denn die Zeiten werden
zunehmend vom heraufziehenden Nationalsozialismus geprägt und auch für die so
einzigartig mit Leben erfüllten Protagonisten werden die Karten neu gemischt.
All das ist geradezu perfekt und absolut fesselnd komponiert und glänzt dabei mit hoher
Sprachkunst, in der immer wieder knochentrockner bis schwarzer Humor aufblitzt. Zugleich
erinnert Irene Diwiak mit ihrem Stil an die Stimme und den sezierenden Blick ihres
legendären Landsmannes Joseph Roth was bitte als wohlverdientes Kompliment zu
verstehen ist.
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