HÉDI KADDOUR: DIE
GROßMÄCHTIGEN
In seinem jüngsten Roman führt der französisch-tunesiche Erfolgsautor Hédi Kaddour in
die fiktive Stadt Nahbès. Irgendwo im Maghreb ist die gelegen und es sind die frühen
20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als die Franzosen noch die Kolonialherren waren.
Die Frauen der Maghrebiner fürfen nicht unverschleiert aus dem Haus, unter der
muslimischen Bevölkerung gibt es Tradionalisten, aber auch politisch denkende
Nationalisten und einige liberale Fortschrittsgläubige. Die Stadt ist im Übrigen
ordentlich beidseits des Flusses aufgeteilt in die alte Medina und in die moderne Seite
der Kolonialherren.
Als Großmächtige sind sie die Herrschenden, die sich des Militärs und der billigen
einheimischen Dienstkräfte bedienen für ihr selbstgefälliges Wohlergehen. Und Die
Großmächtigen lautet auch der Titel dieses facettenreichen Epos.
Dessen so wohlgeordneter Kosmos damit leben kann, dass die 19-jährige Witwe Rania sich
nicht nur Vater und Mutter hinsichtlich einer Neuverheiratung widersetzt sondern auch noch
ständig womöglich gefährliche Bücher liest. Oder dass der 18-jährige
Raouf, Abiturient aus der einheimischen Oberschicht, sozialistische Revoluzzer-Ideen
pflegt.
In das von den von ihrer kulturellen Überlegenheit überzeugten Franzosen so gut
beherrschte gesellschaftliche Gefüge platzt nun jedoch ein amerikanisches Filmteam. Mit
wenig Sinn für die Feinheiten der hier geltenden Regeln machen sie sich breit, um einen
Film über einen geilen Scheich und 50 Kamele zu drehen. Da wird auf offener Szene
geküsst, die Schauspieler laufen freizügig herum und Kathryn, Frau des Regisseurs,
becirct Raouf.
Der Autor lässt dazu immer neue Episoden aufscheinen, die sich erst allmählich zu einem
Gesamtbild fügen. Doch schon jede einzelne von ihnen hat ihren orientalischen Charme
voller Farbe und durchscheinender Satire. Da sonnt sich der
großmächtige Ganthier in seiner Rolle als überlegener Kolonialherr und
scheitert dann doch an seiner Traumfrau Gabrielle.
Diese überaus emanzipierte Journalistin sorgt für eine der pikantesten Passagen des
Romans mit einem faszinierenden Katz-und-Maus-Spiel mit Ganthier, den sie nackt schachmatt
setzt. Um am anderen Morgen ihrer Freundin zu erklären: Ich habe ihm gezeigt, dass
Frauen nicht zur Schamhaftigkeit verdammt sind, er hat sich nicht davon erholt. Und
zusammen mit Rania und Kathryn agieren hier gleich drei starke Frauen.
Nach diesem Auftakt folgt ein starker Szenenwechsel, denn vier der Hauptpersonen reisen
nach Europa. Kathryn und der junge Raouf als Paar auf der einen Seite, andererseits der
verklemmte Ganthier und die so selbstbewusste Gabrielle. Von Paris geht es dann über die
noch frischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs und ins Rheinland. Das die Franzosen im
Jahr 1923 eben besetzt haben zur Erweiterung ihres Kolonialreichs?!
Die Reise führt schließlich bis ins brodelnde weltoffene Berlin zu Beginn der Goldenen
20er mit bewegenden Begegnungen und Erlebnissen der Protagonisten. Im dritten Teil dann
kehrt das Geschehen in die maghrebinische Welt zurück mit all ihren Unterströmungen, die
die Amerikaner mit ihrem fehlenden Gespür für das Kolonialregime und das fein
austarierte Gesellschaftssystem zumindest für eine Weile aufgestört haben.
Ein anspruchsvolles Lesevergnügen auch dank der vorzüglichen und bereits preisgekrönten
Übersetzung durch Grete Osterwald, bietet dieses Werk. In das man sich jedoch erst ein
wenig hineinlesen muss, das aber lohnt ungemein. Zumal in dem so elegant beschriebenen
Aufeinanderprallen der Gegensätze manche Konflikte durchscheinen, die noch heute virulant
sind und das teils mehr als damals.
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