EMMA JANE KIRBY: DER OPTIKER
VON LAMPEDUSA
Wie viele andere hatte auch der Optiker Carmine Menna schon so manche Nachrichten über im
Mittelmeehr ertrunkene Flüchtlinge gehört. Bis zum 3. Oktober 2013 hatte ihn das
allerdings nicht sonderlich berührt, obwohl er sogar auf der Insel Lampedusa lebt, wo
schon tausende von Aufgegriffenen angekommen sind.
An diesem Tag aber wurden er, Ehefrau Teresa und zwei befreundete Ehepaare, die einen
Urlaubstrip mit ihrem Boot unternahmen, morgens von ungewöhnlich schrillem Möwengeschrei
aus dem Schlaf gerissen. Um dann entsetzt festzustellen, dass es die panischen Schreie
unzähliger Menschen im Wasser sind, die um ihr Leben kämpfen.
Optiker Menna und seine Mitfahrer zögern keine Sekunde und beginnen mit der Rettung. Das
Fatale dabei ist jedoch, dass er mit jeder Hand, die er ergreift, um wieder einen der
hilflos Strampelnden aus dem Meer zu ziehen, über Leben und Tod entscheidet. Hilflos
müssen die Retter ihr Werk bald einstellen, denn das für zehn Personen zugelassene Boot
droht mit jetzt 55 Menschen an Bord zu kentern. Im Wasser aber müssen sie hunderte
Todgeweihte hinter sich lassen.
Der BBC-Journalistin Emma Jane Kirby ist es als einziger Medienvertreterin gelungen,
Carmine Menna hernach zu interviewen. Die daraus entstandene Fernsehreportage wurde in
Frankreich 2015 mit dem renommierten Kriegsberichterstatterpreis ausgezeichnet. Und Kirby
hat die Reportage zur Grundlage ihres Buches Der Optiker von Lampedusa
gemacht.
Darin schildert sie in bewegenden Worten aus der Sicht Mennas nicht nur die
Rettungsaktion, sondern auch spätere Begegnungen zwischen Rettern und Geretteten. Aber
auch was die beherzte Tat mit ihnen gemacht hat angesichts so vieler, die sie einem
sicheren Schicksal überlassen mussten. Wie der zuvor eher steife, pflichtbewusste
Familienvater wochenlang unter Schlaflosigkeit, Alpträumen, Depressionen und vor allem
auch Schuldgefühlen litt.
Fazit: ein mahnendes kleines Buch, nicht über Helden, sondern über Menschen, die in
größter Not einfach geholfen haben. Und es sterben weiterhin Tausende von Flüchtlinge,
denn nicht rechtzeitig geholfen wird.
|