VIET THANH NGUYEN: DER
SYMPATHISANT
Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Mann mit zwei Gesichtern. Da ist es vielleicht
kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin. Der das sagt, ist ein
Ich-Erzähler, der damit ein grundlegendes Geständnis gegenüber einem Kommandanten des
siegreichen Vietcong ablegt.
Dieser Ich-Erzähler steht im Mittelpunkt des bereits mit dem Pulitzer-Preis
ausgezeichneten Romans Der Sympathisant von Viet Thanh Nguyen. Schon dieser
Name offenbart, dass dieser US-Autor vietnamesischer Herkunft ist und seine Eltern
entkamen den nordvietnamesischen Siegern 1975 mit ihm als Kleinkind ähnlich wie der hier
Beichtende.
Mit dem entscheidenden Unterschied, dass er als Hauptmann und Adjutant eines Generals aber
auch als bestens getarnter kommunistischer Spion unter dramatischen Bedingungen entkommt.
Bis in intimste Details reicht das Geständnis dieses Mannes mit der unrühmlichen
Herkunft. Als Sohn einer verfemten Mutter, die sich von einem katholischen Priester hatte
schwängern lassen, hatte er eine bemerkenswerte Karriere im pseudo-demokratischen
Süd-Vietnam gemacht.
Die ihm in den 60er Jahren auch zu einem sechsjährigen Bildungsaufenthalt in Kalifornien
verhalf. Schon hier sollte er als Spion für die andere Seite alles an Informationsn und
Eindrücken aufsaugen und er genoss die angenehmen Seiten des American Way of
Life in vollen Zügen. Zugleich lernte er fast perfektes, akzentfreies Amerikanisch
und bei Claude vom CIA auch die übelsten Foltermethoden der Geheimdienste. Die er später
teils an sich selbst erleiden wird.
Das süße Leben hält ihn jedoch nicht ab von der kühlen zynischen Abrechnung mit den
Amerikanern: Hatte es jemals ein Land gegeben, dessen Narzissmuskonto derart
überquoll von Superlativen? In den letzten Tagen in Saigon dagegen offenbart er
nicht nur die dekadente Führungsschicht der Machthaber, denen er dient, er verbindet die
entlarvenden Schilderungen mit einer gallebitteren Abrechnung mit dem Kolonialismus wie
auch mit den USA als supermächtigen Beschützern: Sie hatten uns die Spritzen
geschenkt und jetzt versagten sie uns perverserweise den Stoff.
Der vielschichtige Polit-Thriller bietet eine Fülle skurriler und oft schwarzhumoriger
Szenen, aber auch die irren Ereignisse vom Kampf um Saigon in jenem April 1975, als er und
sein General mit der letzten C-130 entkommen. Und es wird geradezu surreal, wenn die
ehemaligen Offiziere in den USA ein fragwürdiges und oft genug schmähliches Wohlergehen
versuchen. Und der Ich-Erzähler spioniert sie auch hier weiter aus bis hin zu einer
aberwitzigen Guerilla-Aktion gegen das wiedervereinigte Vietnam. Die dann auch ihn ins
Umerziehungslager bringt.
Dieses durch und durch politische Buch, das ja stets vor authentischem historischem
Hintergrund spielt, hat einen verqueren Höhepunkt jedoch ausgerechnet auf den
Philippinen, wo ein monumentaler Vietnam-Film gedreht werden soll, in dem überdeutlich
Apokalypse now zu erkennen ist. Mit dem Ich-Erzähler als Berater für
möglichst viel Echtheit offenbaren sich groteske Missverhältnisse zwischen
amerikanischem Kult-Gehabe und dem echten Leben, wo die vietnamesischen Nebenakteure nur
Unverständliches vor sich hin brabbeln.
Dieser Roman hat Szenen von schwer erträglicher Härte und fesselt zugleich mit Sätzen
von funkelnder satirischer Brillanz. Das Faszinierende ist, dass hier ein Amerikaner über
die Geschehnisse schreibt, der ein Vietnamese war. Und der eine andere Sichtweise auf den
berüchtigten Vietnam-Krieg hat, der für die Vietnamesen nämlich der Amerikanische
Krieg heißt.
Fazit: ein wahrhaft literarischer Polit-Thriller mit allen Qualitäten für einen
Klassiker zum Thema. Und man darf auf seine Aufnahme im betroffenen Land gespannt sein -
Der Sympathisant wird derzeit ins Vietnamesische übersetzt.
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