ARUNDHATI ROY: „DAS MINSTERIUM DES ÄUßERSTEN GLÜCKS“


Vor 20 Jahren landete Arundhati Roy mit ihrem Debütroman „Der Gott der kleinen Dinge“ einen Welterfolg und gewann auch den Man Booker Price. Danach wurde sie zu einer der engagiertesten Aktivistinnen gegen all die Missstände in ihrem Heimatland Indien, wo hunderte Millionen Menschen Opfer der brachialen Modernisierungspolitik wurden und werden.
Vor zehn Jahren aber begann die Autorin mit der Niederschrift eines neuen großen Romans, der jetzt weltweit gleichzeitig erschien. In „Das Ministerium des äußersten Glücks“ flossen all die galligen Kritiken ebenso mit ein wie gleich etliche der großen Themen im modernen Indien. Was dem Werk einerseits bereits die Nominierung für den diesjährigen Man Booker Price einbrachte, ihn andererseits aber auch zu einer sperrigen, ja geradezu überfrachteten Herausforderung für den Leser macht.
Am Anfang steht die Widmung „Für die Ungetrösteten“ und eine solche ist auch Anjum, Hauptfigur des ersten Teils. Für ihre Eltern war sie ein Unglück, denn sie wurde als Hijra, als Zwitterwesen geboren, das sich später durch Operationen zur wenn auch nicht ganz vollständigen Frau wandelte und als solche auch ein Baby adoptierte. Anjum lebt in der Hauptstadt Dehli, der „1000 Jahre alten Hexe“, dann aber gerät sie in das - historisch reale – Pogrom in Gujarat von 2002, das sie nur um Haaresbreite überlebt.
Aus diesem Trauma heraus zieht sie auf einen alten Friedhof, wo sie ein surreales Refugium für Ihresgleichen wie auch für Obdachlose, Bettler und Unberührbare aufbaut. Diese exzentrische Republik der Verlorenen ist gewissermaßen der Gegenentwurf zur brutalen offiziellen Neugestaltung Dehlis, zu der ein Richter am Obersten Gerichtshof lapidar feststellte: „Leute, die es sich nicht leisten können, in der Großstadt zu leben, sollten nicht herkommen.“
Und die schon da sind, werden zwangsweise ausgesiedelt. Mit verwirrender Formen- und Farbenpracht aber auch mit Leidenschaft bis hin zu hitziger Wut wird auch das beschrieben, lässt bei aller dazwischen funkelnder exotischer Poesie gleichwohl zuweilen ein gewisses Maß an Gradlinigkeit und Spannung vermissen. Um so heftiger und politischer gerät der Umstieg in den zweiten Teil des Romans mit seinem neuen Personal.
Hauptfigur ist hier die Architektin Tilo, eine ebenso engagierte wie hitzköpfige Aktivistin, die kaum verhohlen als Alter Ego der Autorin durchscheint. Mit einem ihrer drei Verehrer, einem militanten Freiheitskämpfer, führt es sie nach Kashmir, wo sie mit Müh und Not den Gewaltexzessen der indischen Besatzungsmacht entkommt. Wie Anjum reißt auch Tilo das Erlebte aus dem gewohnten Leben und wie diese adoptiert sie ein Baby.
In einem nur mäßig überzeugenden Schritt verknüpfen sich schließlich die so unterschiedlichen Romanteile, wenn auch die entwurzelte Tilo in Anjums Refugium Unterschlupf und einen wunden Frieden findet. Das Alles gerät zum wortgewaltigen, teils aber auch überambitionierten Hymnus gegen die Ungerechtigkeit des aufstrebenden indischen Subkontinents, der rücksichtslos eine opferreiche Schneise durch die Gesellschaft pflügt.
Fazit: ein heftig gewürzter, ebenso authentischer wie zuweilen überzogener Roman, der in all seiner Polemik und sprachmächtigen Exotik immer wieder mehr verwirrt statt dem roten Faden des Erzählens zu folgen.

# Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks (aus dem Englischen von Anette Grube); 556 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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