LEILA SLIMANI: DANN SCHLAF
AUCH DU
Das Baby ist tot. Mit diesem ebenso sachlichen wie niederschmetternden Satz
beginnt Leila Slimani ihren Roman Dann schlaf auch du. Im kühlen
Protokollstil erfährt man sogleich noch mehr Schlimmes: auch die kleine Schwester liegt
im Sterben, wogegen der Selbstmordversuch der Täterin misslungen ist.
Man weiß also gleich um die Tragödie, dennoch fesselt das, was dann folgt, mit solcher
Brillanz, dass die französisch-marokkanische Autorin dafür mit dem Prix Goncourt, der
höchsten literarischen Würdigung Frankreichs, ausgezeichnet wurde. Und in der Tat lässt
es staunen, wie der Lauf bis zu der bereits vorweggenommenen Katastrophe den Leser in den
Bann schlägt.
Mittendrin steht das junge Paar Myriam und Paul, das in einer kleinen Mietwohnung in einer
guten Pariser Gegend wohnt. Während er die ersten Karrierestufen als Musikproduzent
erklimmt, ist sie durch die beiden Kinder bis auf weiteres ausgebremst vom ersten Job als
Anwältin. Sie wollte an sich nur warten, bis Myla in den Kindergarten gehen konnte, da
folgte Baby Adam.
Allmählich versauert Myriam, als sie dann aber durch einen bereits arrivierten
Studienkollegen ein Angebot bekommt, beschließen die Eheleute, eine Kinderfrau zu
engagieren. Und sie finden Louise, Mitte 40, eine etwas verhärmte Witwe mit guten
Referenzen. Die erobert im Handumdrehen erst die Sympathie der sonst so schwierigen Myla
wie auch des kleinen Paul. Doch auch die Eltern sind schnell begeistert von dieser
Fee, denn die übernimmt immer mehr Funktionen im Haushalt, den sie obendrein
in ein behagliches Heim verwandelt.
Irgendwie unmerklich aber auch unaufhaltsam macht sich Louise unentbehrlich und für die
Kinder ist sie bald nicht nur tagsüber der einvernehmende Mittelpunkt, denn immer öfter
übernachtet sie auch dort, damit die Eltern abends ausgehen können. Wie die schüchterne
jedoch durchaus auch altmodisch strenge Louise außerhalb lebt, wie es ihr persönlich
geht, das allerdings erfährt nur der Leser, denn Myriam und Paul interessiert es denkbar
wenig, da ja alles so wunderbar funktioniert.
Louise ist jedoch eine vereinsamte Frau, deren garstiger Mann ihr nach seinem Tod
erdrückende Schulden hinterlassen hat, so dass sie nun Probleme mit der Miete für ihr
karges Appartement hat. Zur Einsamkeit kommen Depressionen, zumal ihre einzige Tochter vor
Jahren noch als Teenager einfach abgetauchte. All die wachsenden psychischen Probleme, die
Labilität und die Hilflosigkeit dem Leben gegenüber verbirgt sie hinter ihrem
Perfektionismus als Nanny, Putzfrau, Köchin und schließlich auch als Vertraute,
zumindest für Myriam.
Viel zu gut geht es der und ihrem Mann mit dieser Perle, als dass sie auch nur ahnten,
dass das Böse, das sie von ihren Kindern fernhalten wollten, nicht unbedingt von außen
drohen muss. Sie haben das Unheimliche selbst ins eigene Heim geholt. Um so fassungsloser
trifft sie der Schrecken der ausbrechenden Psychose.
Wie konnten die Eltern einer quasi Fremden ihr Liebstes derartig naiv anvertrauen? Kann
man es ihnen wirklich vorwerfen? Der kleine aber ebenso feine wie gemeine Roman bleibt mit
seiner kühlen, distanzierten Prosa im Beobachterstatus der Ermittler und überlässt
Antworten oder gar Urteile dem gebannten Leser. Im Übrigen gebührt der Übersetzung
durch Amelie Thoma ein hohes Lob für den Erhalt der Brillanz der bereits überaus
erfolgreichen Originalvorlage.
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