PHILIP NORMAN: PAUL
McCARTNEY
Natürlich gibt es zahlreiche Biografien sowohl über die Beatles insgesamt wie auch über
Paul McCartney. Dennoch ist diese jüngste vom englischen Musikjournalisten Philip Norman
nicht nur anlässlich des 75. Geburtstag des Künstlers in diesem Juni etwas Besonderes.
Und sie war in dieser Form überfällig.
Gleich zwei herausragende Vorteile weist diese schlicht Paul McCartney
betitelte Lebensbeschreibung eines der erfolgreichsten Musikers aller Zeiten auf: sie
widmet sich außer der Jugend und der weitestgehend bekannten Beatles-Ära auch
vollinhaltlich seinem künstlerischen und privaten Leben danach. Zum Anderen
ist dies die erste von McCartney autorisierte Biografie.
Was insofern bemerkenswert ist, als Norman ihn mit der ersten umfassenden Biografie über
die Fab Four 1981 unter dem Titel Shout! schwer verärgert hatte. Der Biograf
huldigte darin John Lennon über Gebühr und schob Paul quasi ins zweite Glied ab. Für
dieses unausgewogene Bild tut Norman gleich zum Einsstieg Abbitte und tatsächlich wirkt
dieses Werk gewissermaßen wie der bisher fehlende Komplementär zur monumentalen
Lennon-Biografie Normans von 2008.
Der Autor traf McCartney erstmals als blutjunger Journalist im Dezember 1965 persönlich
vor einem Konzert wo der Musiker seinen Hang zum Geiz erwähnte! - und danach
Jahrzehnte nicht mehr. Eine direkte Mitarbeit an dieser Biografie seitens Sir Pauls hat es
allerdings nicht gegeben, Unterstützung bezüglich Informationen und Quellen hingegen
schon. Ohnehin schwelgt der versierte Biograf in einer beeindruckenden Detailfreude, hat
sich bei aller inzwischen gewonnenen Bewunderung über das Gesamtwerk McCartney aber
dennoch nicht zu einer kritiklosen Hommage verleiten lassen.
Da finden auch weniger positive Charaktereigenschaften des rehäugigen Charmeurs ihren
Niederschlag, wird kein Hehl aus seinen sexuellen und Drogenausschweifungen vor der Ehe
mit Linda Eastman gemacht. Narzissmus, übergroßer Ehrgeiz und eine Neigung zur
Manipulation werden erkennbar. Aber eben auch künstlerische Talente mit über 1000 Songs
und zahllosen Chart-Erfolgen mit The Wings und solo, die den Schluss zulassen,
dass musikalisch Paul der Kunstvollere und Kreativere des legendären Songschreiber-Duos
Lennon/McCartney so lautete stets die einst vereinbarte Autorenschreibweise
war.
Es verwundert auch kaum, welch immensen Wert der Musiker, der zudem deutlich
experimentierfreudiger als sein Partner war, auf die Anerkennung seiner klassischen Werke
legt. Und die war bereits bei seinem ersten Opus, dem Liverpool Oratorium,
seitens Publikum wie auch Kritikern überraschend groß. Doch die übrige lange
Künstlerkarriere bis hin zur aktuell laufenden Reihe von Solokonzerten findet ebenfalls
ihren detaillierten Niederschlag.
Aber auch die Höhen und Tiefen seines Privatlebens werden ausführlich dargestellt. Aus
dem offenbar sehr glücklichen Familienleben mit Linda und den vier Kindern erfährt man
einiges, wenngleich McCartney bei aller Offenheit hier stets die Grenzen der Einsichtnahme
eng gesetzt hat. Um so heftiger lesen sich die Passagen über den widerwärtigen
Rosenkrieg, in dem die kurze zweite Ehe mit Heather endete. Was wie übelster Boulevard
erscheint, beruht alles auf konkreten Fakten, die immerhin eines unmissverständlich
klarstellt: gerichtsnotorisch belegt war sie die skrupellos geldgierige Lügnerin und Paul
der Gute.
Zu den bewegendsten Passagen zählen selbstredend die über die drei großen Todesfälle
im Leben des Ausnahmekünstlers. Zum Einen der Tod der geliebten Mutter an Brustkrebs, als
er erst 14 war, und dann der Tod Lindas an derselben Krankheit. Zum Anderen aber auch die
Erschütterung über die Ermordung John Lennons 1980, nachdem die Beiden sich eben erst
wieder einander angenähert hatte. Und um noch einmal anzudeuten, wie kongenial sie zu
ihren Hochzeiten mit rauem Umgangston harmonierten, zitiert der Biograf Pauls herbes
Resümee über den ewigen Wettstreit zwischen ihnen: Er ist als Legende gestorben,
und ich werde als alter Mann sterben. Typisch John!
Fazit: selbst, wer kein Beatles- oder McCartney-Fan ist, findet hier die fesselnde
Biografie über einen der großen Ausnahmekünstler der Gegenwart, die zugleich auch viel
Interessantes über die Zeitgeschichte dieser Ära offenbart.
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