GERHARD ROTH: „LANDLÄUFIGER TOD“


Schon 1984 veröffentlichte Erfolgsautor Gerhard Roth seinen monumentalen Roman „Landläufiger Tod“ als Teil seines siebenteiliges Zyklus „Die Archive des Schweigens“. Nun aber zum 75. Geburtstag des Österreichers liegt eine Neuauflage vor, jetzt jedoch erstmals in der ursprünglich vorgesehenen Fassung, erweitert also und neu durchgesehen.
Schon damals wurde das gewaltige Werk als ein literarisches Zauberkunststück der Literatur gefeiert und die seinerzeitige Faszination erweist sich in der Vervollständigung endgültig als zeitlos. Nun enthält das Buch auch die damals schon vorgesehene Dorfchronik dieses quasi Anti-Heimatromans um Ich-Erzähler Franz Lindner.
Dieser nach einem Unfall stumme Sohn eines Bienenzüchters entwirft einen einzigartigen Kosmos und so wie die Bienen auch für den Autor von immenser exemplarischer Bedeutung sind, hat er entsprechend zwei Abhandlungen über die nützlichen Honigsammler zur Vervollständigung angehängt. Franz aber ist nicht nur unfähig zu reden, er hat außerdem solch intensive schizophrene Schübe, dass er zeitweilig in der Irrenanstalt untergebracht werden muss.
Er, der ein messerscharf analysierende Zuhörer ist, erweist sich auch als ein vielschreibender Denker, der seine Mission zunächst im Verfassen einer neuen Schöpfungsgeschichte sieht. Und er beginnt eine ebenso hellsichtige wie surreal-verrückte neue Bibelfassung, in der Naturgesetze aufgehoben sind. Aberwitzige Unlogismen türmen sich da auf, als hätte sei ein Dadaist auf dem LSD-Trip ersonnen.
Ein sprachliches Unikum und zugleich ein funkelnder Höhepunkt verwirrt den Leser mit dem umfänglichen Prosagedicht „Das Alter der Zeit“, endlos aufgereiht voller intelligentem Nonsens und dabei satzweise durchnummeriert wie Bibelsprüche. Doch auch realistischere Passagen beeindrucken, wenn es zum Beispiel um die dumpfe fremdenfeindliche Dorfatmosphäre geht, die die jetzt eingefügte Dorfchronik erst richtig entfaltet. Alles wird in sich in Frage gestellt, selbst die Chronologie und die Wirklichkeit sowieso.
Gerhard Roths experimentelle Prosa verwirrt, fesselt, bezaubert und ist kaum als Überblick zu beschreiben. „Landläufiger Tod“ war ohnehin ein geniales Meisterwerk und selbst für sehr anspruchsvolle Leser eine Herausforderung. Diese neue Fassung überbietet das Alles noch und will mit ganz weit offenem Verstand und der Bereitschaft zum Spintisieren genossen werden.

# Gerhard Roth: Landläufiger Tod; 974 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 36

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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