HAMPTON SIDES: „DIE POLARFAHRT“


Den Nord- oder Südpol zu erreichen, war der Ehrgeiz mancher wagemutiger Männer vor allem im 19. Jahrhundert. Den wenigen Erfolgen stehen etliche große Tragödien gegenüber, von denen jedoch nicht alle heute noch präsent sind.
Einem der fatalsten und doch weithin vergessenen Dramen nahm sich nun der amerikanischen Historiker Hampton Sides unter dem Titel „Die Polarfahrt“ an. Er hat sein erzählendes Sachbuch zu einem mitreißenden Roman werden lassen, der ganz der Ankündigung im Untertitel entspricht: „Von einer unwiderstehlichen Sehnsucht, einem grandiosen Plan und seinem dramatischen Ende im Eis.“
Der Ausgangspunkt klingt wie einer der beliebten Jules-Verne-Romane jener Zeit, denn der anerkannte deutsche Geografie-Professor August Petermann hatte in den 1870er Jahren als gesicherte Erkenntnis die These verkündet, man könne den Nordpol per Schiff erreichen, es müsse lediglich der Packeisgürtel durchdrungen werden. Autor Sides aber setzt vor diesen folgenschweren Irrtum zwei entscheidende Voraussetzungen, ohne die es gar nicht zu dem darauf fußenden Debakel gekommen wäre.
1870 hatte der ebenso reiche wie skrupellose Verleger des „New York Herald“ den Journalisten Henry Morton Stanley nach Zentralafrika entsandt, um den vermissten Arzt und Forscher David Livingston zu suchen. Stanleys Erfolg sorgte für riesige Extraauflagen der Boulevardzeitung. Der findige Bennett hatte nun 1879 vom ebenfalls verschollenen Polarforscher Freiherr von Nordenskjöld gehört und wollte den Livingstone-Erfolg wiederholen.
Dazu passte einerseits seine Begegnung mit Petermann und dessen Thesen. Andererseits hatte die Regierung großes Interesse daran, die US-Flagge auf dem Nordpol zu hissen und sie fand in Leutnant George DeLong genau den richtigen Kapitän dafür. Der hatte seine Talente für eben solch eine Unternehmung bereits bewiesen, als er 1873 die Überlebenden der missglückten Polar-Expedition von Charles Francis Hall rettete. Und vor allem hatte der Marineoffizier dabei seine Liebe für das ewige Eis entdeckt.
Im Sommer 1879 stach mit dem Dreimaster „Jeanette“ ein bestens ausgerüstetes Schiff von San Francisco aus in See. Ein unterstützender Dampfantrieb, modernste Technik und ein massiv verstärkter Bug – nicht ahnend, wie naiv ein solcher Versuch mit Holzschiffen gegen die gewaltigen Panzer des Packeises sein musste.
Prompt wurde die „Jeanette“ mit ihren 33 Mann an Bord schon nach zwei Monaten rettungslos im Polarmeer vom Packeis eingeschlossen. Fast zwei Jahre später und mittlerweile rund 500 Seemeilen abgetrieben, sind die Männer zwar dank genügend Vorräten noch wohlauf, doch kaum kommt das Schiff im Sommer frei, sorgen die von den Eisschollen verursachten Schäden für das baldige Sinken. Womit der Tragödie zweiter Teil einsetzt und sich auch die Schilderungen des Geschehens geradezu zum Thriller wandeln.
Es sind schließlich drei Boote, die das rettende Ufer suchen und dabei immer wieder auch über Eisflächen geschleppt werden müssen. Während eines dabei spurlos verschwindet, gelingt es dem unter der Leitung von Schiffsingenieur George Melville nicht nur, die 1000 Meilen entfernte Küste Nordsibiriens zu erreichen, die Männer gelangen auch zu Ureinwohnern, die sie retten. Das dritte Boot mit Kapitän DeLong findet zwar ebenfalls den Weg an diese Küste, diese Männer verhungern und erfrieren jedoch im erbarmungslosen Eis.
Das Alles ist so faszinierend erzählt, dass man sich immer wieder vergegenwärtigen muss, dass die tragisch endende Mission der „Jeanette“ historische Tatsache ist. Dazu hat Hampton Sides Briefe, Tagebücher, Zeitungen und Dokumente ausgewertet. Und am Schluss dieses brillanten erzählenden Sachbuchs bleibt die zynische Pointe, dass Einer mal wieder einen Profit aus der Tragödie schlagen konnte: Zeitungsmogul Bennett.

# Hampton Sides: Die Polarfahrt. Von einer unwiderstehlichen Sehnsucht, einem grandiosen Plan und seinem dramatischen Ende im Eis (aus dem Amerikanischen von Rudolf Mast); 576 Seiten, div. Abb.; marebuchverlag, Hamburg; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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