KRISTIN HANNAH: "DIE
NACHTIGALL"
Zwei äußerst ungleiche Schwestern, Vianne und Isabelle Rossignol, sind die Heldinnen in
"Die Nachtigall", dem jüngsten Roman von US-Erfolgsautorin Kristin Hannah, der
die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wieder lebendig werden
lässt.
Schon die Kindheit der beiden Schwestern war nicht leicht. Die Mutter starb früh und der
Vater, der traumatisiert aus dem ersten Weltkrieg zurückgekehrt war, lehnte den Kontakt
zu seinen Töchtern eher ab. Der älteren stellt er ein Haus zur Verfügung, in dem sie
leben kann, früh heiratet, als Lehrerin arbeitet, eine Tochter bekommt und bemüht ist,
ein ganz normales, unauffälliges Leben zu führen.
Ganz anders ist ihre jüngere Schwester Isabelle. Sie ist impulsiv, rebellisch und
unangepasst. Entsprechend hält sie es in keinem der Internate, in die sie ihr Vater
schickt, lange aus. Schulverweise und Fluchten sind für sie eher der Normalfall. Als sich
dann die politische Lage zuspitzt und Frankreich schließlich von deutschen Truppen
besetzt wird, ist für die achtzehnjährige Isabelle sofort klar, dass sie sich dem
Widerstand anschließen und gegen die Deutschen kämpfen muss.
Sie nimmt Kontakt zu einer Widerstandsgruppe auf und entwickelt den tollkühnen Plan,
abgeschossene alliierte Piloten aus Frankreich herauszubringen und über die Pyrenäen
nach Spanien und von dort in die Heimat zurückzuführen. Dank ihrer Jugend gelingt ihr
das viele Male, ohne dass sie Verdacht erregt. Als "die Nachtigall" wird sie von
den Besatzern gejagt, dank ihres Netzwerks jedoch nicht entdeckt und und sie entwickelt
sich zu einer erfahrenen Widerstandskämpferin.
Ganz anders verhält sich ihre ältere Schwester Vianne. Sie versucht, ihre kleine Tochter
Sophie dadurch zu beschützen, dass sie sich unauffällig verhält und ihrer Arbeit als
Lehrerin nachgeht. Doch der Krieg erreicht auch sie. Zunächst muss sie es hinnehmen, dass
ein deutscher Wehrmachtsoffizier in ihrem Haus einquartiert wird. Verhält der sich noch
leidlich korrekt, wird ihr Leben zur Hölle als später ein SS Offizier in ihrem Haus
wohnt.
Als dann ihre jüdische Freundin Rachel abgeholt wird, wird auch Vianne aktiv. Sie nimmt
deren Sohn auf und findet nach und nach einen Weg, weitere Kinder von der Deportation zu
bewahren. Spannend erzählt, ist dieser Roman nicht nur die emotionale Geschichte zweier
Schwestern, die, gezwungen durch die Ereignisse des Krieges, erst ganz langsam eine Nähe
zueinander entwickeln können. Gleiches gilt für den Vater der beiden, der letztlich doch
unter Beweis stellt, dass er seinen Töchtern gar nicht so gleichgültig gegenübersteht.
Beeindruckend schildert die Autorin, wie der Krieg in alle Bereiche des Lebens eindringt.
Die Angst um den Ehemann, die Sorge um das Kind, der Mangel, der Hunger und die ständige
Angst werden am Beispiel Viannes greifbar, während ihre Schwester für Mut, Leichtsinn
und auch ein gewisses Maß an Naivität steht. Aus dem Schicksal der Beiden entsteht ein
Bild, das wohl nah an die Situation im besetzten Frankreich herankommt.
Die Geschichte ist so zwar fiktiv, beruht aber im Kern auf der wahren Geschichte einer
Belgierin, die tatsächlich zahlreiche Menschen über die Pyrenäen in die Freiheit
geführt hat. "Wenn ich in meinem langen Leben eines gelernt habe, dann ist es
Folgendes: In der Liebe finden wir heraus, wer wir sein wollen; im Krieg finden wir
heraus, wer wir sind." Das lässt Kristin Hannah ihre inzwischen alt gewordenen
Protagonistin Vianne im ersten Satz des Romans sagen.
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