KLAUS-RÜDIGER MAI: „GUTENBERG“


Am Beginn des Zeitalters der Moderne stand der Buchdruck, denn mit ihm war das möglich, was man heute Massenkommunikation nennt. Nicht länger waren Wissen und Bildung ein Privileg für Klerus und Obrigkeit, denn damit endete die Ära der teuren und langsamen Handskripturen und das mit überwältigenden Folgen für die gesamte Weltgeschichte.
Doch ausgerechnet über Johannes Gutenberg, den genialen Erfinder des Buchdrucks, gibt es so wenig konkretes Material wie über kaum eine andere große historische Persönlichkeit. Um so verdienstvoller ist das Unterfangen des Germanisten und renommierten Biografen Klaus-Rüdiger Mai, dem unter dem Titel „Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte“ eine wissenschaftlich akzeptable Lebensbeschreibung auf hohem Niveau gelang.
Aufgrund der sehr bescheidenen Quellenlage wählte Mai die archäologische Methode, um ein möglichst genaues und umfassendes Porträt Gutenbergs gestalten zu können. Dazu stellte er den Bruchstücke des bekannten biografischen Materials in den detaillierten und vielfach belegten Kontext von Zeit und Lebenswirklichkeit des Mainzer Patriziersohns. Bilder, Notizen, Skizzen, nichts dergleichen gibt es von ihm überliefert, im Gegensatz zu ersten Druckerzeugnissen.
Mutmaßlich am 22. Juni 1400 geboren, wuchs Henne oder Henchen Gensfleisch vom Gutenberg, so sein Geburtsname in Mainzer Umgangssprache, in einer bürgerlichen Familie von Stand auf und studierte vermutlich auch einige Semester. Die Lebensumstände, die ihn prägten, hat der Biograf ebenso fundiert wie detailliert mit beeindruckendem Zeit- und Lokalkolorit zusammengetragen, um die möglichst authentische Person Gutenberg aus ihr herauszufiltern.
Die Idee des Buchdrucks mit beweglichen Lettern entsprang schließlich weniger einem genialischen technischen Tüfteln um der Erfindung selbst willen. Dem handwerklich aber auch unternehmerisch begabten Gutenberg ging es nicht um Kulturverbreitung. Vielmehr hatte er mit sogenannten „Heiltumsspiegeln“ für die Aachen-Pilgerer in jener Zeit geschäftlichen Erfolg gehabt. Dabei hatte er die Idee, dass große Serien das viel bessere Geschäft wären als einzeln von Hand gefertigte Stücke. Womit er – einem Henry Ford nicht unähnlich – auf industrielle Laufbandfertigung setzte.
Das aber musste doch für die hochpreisigen Bücher noch erfolgversprechender sein. Deren Bedarf seitens reich gewordener Bürger war gegeben und Klerus wie Universitäten benötigten sie ebenfalls. Noch aber mussten sie im Skriptorium diktiert und per Hand geschrieben oder – in minimalen Serien – kopiert werden. Gutenberg tüftelte die nötigen Gerätschaften und Materialien aus, Papier wurde mittlerweile auch in hiesigen Landen hergestellt und um 1450 war es so weit: erste Einblattdrucke, Ablassbriefe und ähnliches überzeugten in einer Qualität, die den besten Handschriften ebenbürtig war.
1452 ließen Gutenberg und seine Mannschaft fähiger Tüftler den eigentlichen Geniestreich auf die Menschheit los: die weltberühmte Gutenberg-Bibel mit gotischen Buchstaben. Der Druck von rund 170 Exemplaren war ebenso wie die Geheimhaltung bis zur Veröffentlichung eine Herausforderung. Diese Pionierarbeit war nicht nur mit dem ersten Bestseller der Literaturgeschichte gekrönt, die Verbreitung des Buchdrucks folgte danach wie ein Lauffeuer.
Und es war ein Jahrtausendschritt, denn er eröffnete die Vervielfältigung von Informationen und Wissen und eine Folge wäre ohne den Buchdruck schlichtweg nicht denkbar gewesen: die Reformation. Ohne all die Flugschriften Martin Luthers und dann dessen Bibelübersetzung quasi für jedermann wäre sie ein schnell verlöschendes Feuerchen des Aufbegehrens geblieben.
Klaus-Rüdiger Mai betont denn auch die Bedeutung von Gutenbergs Erfindung für den Aufstieg des Abendlandes durch die Verbreitung von Wissen und Bildung und vergleicht Gutenberg nicht von ungefähr mit Steve Jobs, denn die digitale Revolution unserer Tage folgte in ihrer Wissensexplosion dem Muster jener damaligen weltweiten Umwälzung.
Fazit: Mai entwirft ein spannendes Bild sowohl Gutenbergs wie auch von dessen Erfindung und deren globaler Bedeutung, das trotz magerer Quellenlage wissenschaftlichen Anforderungen genüge tun dürfte. Das Buch besticht im Übrigen auch bibliografisch durch seine Gestaltung im Zweifarbendruck, mit diversen Illustrationen und eingefügten Beispielen aus der Gutenberg-Bibel.

# Klaus-Rüdiger Mai: Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte; 385 Seiten, div. Abb.; Propyläen-Verlag, Berlin; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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