MARICA BODROZIC: "DAS WASSER
UNSERER TRÄUME"
Marica Bodrosic wagt in ihrem neuen Roman "Das Wasser unserer Träume" das
Unvorstellbare. Im 13. Stock eines Krankenhauses liegt ein Mann im Koma, eingeschlossen in
seinen Körper und zu keiner Bewegung fähig. Wovon das Personal vermutlich nichts ahnt,
er ist in einer Art Bewusstsein. Schemenhaft zwar kann er seine Umgebung mehr erfühlen
als wahrnehmen und seine Gedan-ken schweifen lassen, fest eingeschlossen in seinen
bewegungslosen Körper. Über vier Jahreszeiten, die auch gleichzeitig die Kapitel dieses
Buches sind, verfolgt und beschreibt die Erfolgsautorin den inneren Monolog dieses
Patienten aus seiner Perspektive.
Weiß er zu Anfang nichts über sich selbst, kehren nach und nach Erinnerungen wie Fetzen
in sein Gedächtnis zurück und geben ihm eher neue Rätsel auf, als dass sie ihm Klarheit
verschaffen. Irgendwann erinnert er sich, dass sein Zustand Folge eines Autounfalls mit
einem Lkw ist. Wer er ist, bleibt ihm ebenfalls lange unklar.
Dann erfährt er, dass zwei Frauen ihn nach dem Unfall als vermisst gemeldet haben.
"Wer diese beiden Frauen sind, weiß ich nicht. Ich habe keine Erinnerungen, keine
Bilder, keine Freunde, deren Kindheiten mich beweisen und zu anderen in Beziehung bringen.
Wie die Vögel aus den unteren Stockwerken scheine ich vor allem der Willkür
musikalischer Etappen ausgesetzt zu sein, den Fluktuationen leiser Rhythmen, die kommen
und gehen, die sich drehen wie der Wind dreht, der sich langsam zu den Worten meiner
stillen Welt hinwendet. Mein Innenland ist Rätselland."
Auch zum Personal der Klinik nimmt er einen intuitiven einseitigen Kontakt auf. Er kennt
ihre Namen und da sie sich in seiner Gegenwart unbeobachtet fühlen, erfährt er auch
manches Private. Die Ärzte, die regelmäßig zur Visite hereingerauscht kommen, spürt er
gleichfalls. Und er spürt auch, dass einer dabei ist, der eigentlich nur daran
interessiert ist, ihm im Falle seines Todes seine Organe zu entnehmen. "Die
weißbekittelte Visite ist höflich. Jetzt erkenne ich, dass es alles Männer sind, Leute
aus der Forschung, darunter einer mit Fistelstimme, der nur darauf wartet, dass ich
sterbe.
Er hat eine These entwickelt, nach der Menschen wie ich nicht länger als sechs Monate
atmen und dann in der von ihm vorausgesagten Stunde sterben. Er versteht sich als
Wissenschaftler. Aber alles, was er macht, ist, für Geld Weissagungen unter die Leute zu
bringen." Wie eine Versinnbildlichung des Todes erscheint dem Patienten diese
Fistelstimme. Dem gegenüber steht die Zuneigung für das Pflegepersonal, das ihm durch
deren stetige Zuwendung Stärke vermittelt und ihn in seinem quälend langsamen Prozess,
wieder Kontrolle über seinen zu gewinnen, stützt.
So wie er ganz allmählich beginnt, seinen Körper und seine Organe wieder zu spüren -
und Schmerz ist der Anzeiger für die Wiederkehr seines Körpers - kehrt auch seine
Erinnerung an seine Frau Milena zurück, die ihn besucht und ein Kind dabei hat, das nicht
seines ist. Und auch die Erinnerung an die zweite Frau, die ihn als vermisst gemeldet
hatte, kommen wieder auf.
?Diese Prosa ist durch und durch poetisch? hat Walter Hinck in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung über dieses Buch geschrieben. Mit einer unglaublichen Einfühlung, einer
außergewöhnlich starken und dichten Sprache begleitet Marica Bodrozic ihren
Protagonisten auf der Reise durch seine innere Welt zu sich selbst und lässt den Leser
fühlen, welche Werte zählen, wenn nichts von dem mehr selbstverständlich ist, was wir
als selbstverständlich nehmen.
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