ELENA FERRANTE: „DIE GESCHICHTE EINES NEUEN NAMENS“


„Meine geniale Freundin“ war der Auftakt zu Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga in vier Bänden. Dem literarischen Glanzstück war nach seinem verspäteten Start auch im deutschsprachigen Raum ein durchschlagender Erfolg beschieden. Und dieser Roman schuf eine solche Sogwirkung, dass Band II sehnlichst erwartet wurde.
Unter dem Titel „Die Geschichte eines neuen Namens“ liegt er jetzt vor und hält das Versprechen, das sein meisterhafter Vorgänger abgab. Nach der rauen und von vielen Auswirkungen der Nachkriegszeit geprägten Kindheit von Elena Greco und Lila Cerullo im Armenviertel Rione führt das Geschehen nun in die 60er Jahre. Wobei der neue Name der von Lila ist, die mit gerade 16 Jahren am Ende von Band I Signora Caracci wurde.
Zum Einstieg nach einem hilfreichen Personentableau und einer kurzen Rückbesinnung geht der Fokus allerdings erstmal nach Pisa. Dorthin war Elena nach zähem Ringen zum Studium enteilt, um der wüsten neapolitanischen Enge der Verhältnisse zu entkommen. Nun steht sie am Arno und versenkt die Tagebücher, die Lila ihr zur Verwahrung mitgegeben hat, im Fluss.
Lila hatte ihr das Versprechen abgenommen, nicht in den Aufzeichnungen zu lesen. Was die Freundin prompt ignorierte. Nur um mit Groll von der Liebelei mit Nino Sarratoren zu lesen, von dem sie meint, Lila habe ihn ihr weggenommen. Dabei hat diese Eifersucht auf die eigentlich so geliebte Freundin viel tiefergehende Wurzeln, denn schon als Schulkinder hatte sie stets – zu Recht – das Gefühl, dass Lila trotz der viel spärlicheren Bildung viel brillanter sei als sie.
Selbst auch beim Schreiben, das Elena ja nicht nur studierte sondern auch zum Beruf machte. Und ihr gelingt sogar bereits mit 23 Jahr außer der Promotion auch noch ein erster kleiner Romanerfolg. Bei allen lobenden Worten dafür nagt in ihr jedoch das Wissen, dass es nur geborgter Ruhm ist, geborgt aus einer großartigen Kurzgeschichte, die die geniale Lila zu Schulzeiten zu Papier gebracht hatte.
Die aber durchlebt in diesen Jahren eine kleine Hölle, nachdem sie durch die Heirat mit dem Sohn des Fleischhändlers den Nachstellungen eines Camorra-Sprösslings entkommen war. Doch um welchen Preis! Verrat und alltägliche Gewalt vom Hochzeitstag an verfolgen sie nun. Die für die väterliche Schusterwerkstatt entworfenen Schuhe, die der Bräutigam ihr als vermeintlicher Liebesdienst abgekauft hatte, reicht dieser einem befreundeten Mafioso weiter, der sie demonstrativ zur Hochzeitsfeier trägt.
Weitaus schlimmer aber wird die Hochzeitsnacht, denn Stefano Caracci ist nicht nur ein Macho alter Schule, vom ersten Mal an nimmt er seine Frau mit Gewalt, beutet aber auch ihre Cleverness und ihren Fleiß aus. Und Lila wird von der eigenen Mutter darauf verwiesen, dass Lila sein Eigentum sei und nur er Anspruch auf Freiheiten habe. Den ständigen Demütigungen setzt sie zwar eine heimliche Affäre entgegen, doch die bleibt ebenso unbefriedigend wie auch jegliche Träume eines besseren Lebens durch die Heirat zerstieben.
Am Ende steht ihr Abstieg bis zur einfachen Arbeiterin in der Fleischfabrik. Allerdings ist auch Elena mit all ihren insbesondere gesellschaftlichen Minderwertigkeitskomplexen kein Liebesglück beschieden. Der von ihr begehrte Nino Sarratore verschmäht sie, die Verlobung mit einem jungen Mann aus gutem Hause beschert ihr jedoch auch keine Hochgefühle. Und so unterschiedlich das Leben der Freundinnen, die sich nur noch sporadisch sehen, auch sein mag, beiden ist der Stempel ihrer Herkunft aufgedrückt und das Machtgefüge zwischen den Geschlechtern weist in jener Zeit ohnehin noch massiv den Männern das Sagen zu.
Zwischen Elena und Lila aber zerreißt das Band trotz aller Gegensätzlichkeiten nicht und dieser viel umfangreichere zweite Teil der Neapolitanischen Saga endet, als die Beiden erst 23 Jahre alt sind. Wobei dieser Band seinen besonderen Reiz nicht nur durch die fesselnde Geschichte selbst entfaltet, sondern auch durch den speziellen Blickwinkel: alles wird von Elena erzählt, mit ihren Worten, Meinungen und Gefühlen, selbst da, wo sie nur auf Lilas Notizen zurückgreifen kann.
Fazit: die Fortsetzung steigert die Qualität sogar noch gegenüber dem Auftaktband und auch hier gilt das besondere Lob der exquisiten Übertragung ins Deutsche durch Karin Krüger. Die Wartezeit auf Band III ist übrigens erfreulich kurz und dauert nur bis Juni und der Abschlussband ist für Oktober 2017 avisiert.

# Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Jugend (aus dem Italienischen von Karin Krieger); 624 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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