MICHAELA KARL: „ICH BLÄTTERTE GERADE IN DER VOGUE, DA SPRACH MICH DER FÜHRER AN“


„Eine Verlobung meiner Tochter mit Herrn Hitler steht nicht und stand auch niemals zur Debatte. Der Führer lebt einzig für sein Land. Er hat keine Zeit, um zu heiraten.“ Dies verlautbarte David Mitford, 2. Lord Redesdale, historisch belegt am 24. April 1938 in der auflagenstarken „Sunday Pictoral“.
Tatsächlich gab es diese durchaus nicht unbegründeten Gerüchte um diese zuweilen als Hitlers nordische Göttin bezeichnete Unity Mitford, geboren am 8. August 1914 in London. In Großbritannien noch heute bestens bekannt, ist sie in deutschen Landen weitgehend in Vergessenheit geraten. Nun aber widmet sich die renommierte Politologin Michaela Karl dieser schillernden Person mit einer fundierten Biographie unter dem hinreißenden Titel „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“.
Dieses Zitat ist zwar nicht exakt so gefallen, doch passierte die erste echte Begegnung zwischen der 20-jährigen Sprachstudentin und dem Führer sehr ähnlich. Als glühende Bewunderin Hitlers besuchte sie immer wieder dessen Stammlokal „Osteria Bavaria“ in München-Schwabing und am Samstag, dem 9. Februar 1935, geschieht, worauf sie kaum zu hoffen gewagt hatte: er lässt sie an seinen Tisch bitten.
Wobei nicht verwundern kann, dass sie ihm ins Auge fiel, denn sie ist eine blonde, blauäugige und hochgewachsene Schönheit, die ebenso elegant wie witzig daherkommt. Zudem verfügt die Tochter aus der englischen Oberschicht, die sogar mit Winston Churchill verwandt ist, über hervorragende Deutschkenntnisse. Dieser Tag aber wird zum Beginn einer außergewöhnlichen Beziehung, denn bald schon bekam Unity Zugang zu höchsten Nazi-Kreisen, wird von Hitler persönlich zu den Bayreuther Festspielen, zu Reichsparteitagen eingeladen und sogar auf dem Obersalzberg empfangen.
Sie ist jedoch kein unpolitisches Dummchen, das wie ein Groupie dem charismatischen Machthaber verfällt, wie die Autorin eingehend untersucht hat. Es gab ja faschistische Gruppierungen in England und unter ihren Geschwistern ist sie nicht die einzige überzeugte Nationalsozialistin. Ihre Schwester Diana heiratet den englischen Faschistenführer Oswald Mosley, wogegen Schwester Jessica sich zum Kommunismus bekennt.
Und man weiß, dass König Edward VIII. ein großer Verehrer der Nzis war. Als er Ende 1936 zurücktritt, um die mehrfach geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson zu ehelichen, teilt Unity ihrer Schwester aus München mit: „Oh, Hitler wird schrecklich unglücklich über diese Entwicklung sein, er wollte unbedingt, dass Edward König bleibt.“ Sie aber ist politisch überzeugt von den Nazis und das so demonstrativ, dass der britische Geheimdienst – der sie selbstverständlich argwöhnisch überwacht und 1937 sogar empfiehlt, ihr den Pass zu entziehen – den Schluss zieht: „Das Mitford-Girl ist mehr Nazi als die Nazis selbst.“
Sie findet alles „süß“, was Hitler tut oder sagt, doch ihre Bewunderung gilt erstaunlicherweise auch Julius Streicher. Sie unterhält eine herzliche Beziehung zu dem übelsten aller antisemitischen Hetzer und seiner Familie und hält ihn für „einen kolossalen Witzbold“. Ihm schreibt sie schließlich im Juni 1935 sogar einen Brief, in dem sie sich als leidenschaftliche Antisemitin outet. Dieses Bekenntnis wird für Streicher und sein brachiales Kampfblatt „Der Stürmer“ zu einem PR-Coup sondergleichen.
Aber auch sonst geriert sich das publicity-süchtige Polit-Glamourgirl gern als Nazi-Ikone und mit besonderem Stolz trägt sie – auf etlichen auch britischen Pressefotos festgehalten – die Hakenkreuz-Brosche, die ihr Hitler persönlich schenkte. Wie intensiv sich die Beziehung des Führers zu der englischen Adelstochter gestaltete, ist für die Biografin unzweifelhaft: „Zwischen 1935 und 1939 trafen Hitler und Unity sich insgesamt 140 Mal, also im Schnitt alle zehn Tage – für einen vielbeschäftigten Diktator, der zeitgleich einen Weltkrieg vorbereitete, erstaunlich häufig.“
Dazu passt denn auch die unmissverständliche Feststellung des engen Hitler-Vertrauten Albert Speer: „Sie war eine ziemlich intelligente Frau und hatte ihren eigenen Kopf, nicht der Typ Eva Braun, die sich für nichts interessierte.“ Deren Selbstmordversuch von 1935 aber genau hierin, nämlich in Eifersucht, begründet sein könnte. Den allerdings unternimmt dann am Tag der Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an das Deutsche Reich auch Unity Mitford.
Angeblich. Die durchaus begründeten Zweifel daran analysiert Michaela Karl gründlich, doch auch sie kann mangels einschlägiger Beweise nur die verschiedenen Versionen darlegen. Schon Monate vor Kriegsausbruch soll die ebenso leidenschaftliche Britin wie überzeugte Deutschland-Verehrerin angekündigt haben, sie werde sich erschießen, falls es zum Krieg zwischen ihren beiden geliebten Ländern komme.
Als sie am 3. September 1939 schwer verletzt durch einen Kopfschuss im Englischen Garten gefunden wird, scheint sie das wahr gemacht zu haben. Sie kann jedoch gerettet werden und gelangt schließlich halbseitig gelähmt nach England zurück. Es hat zuvor offenbar noch eine kurze Hitler-Visite an ihrem Krankenbett gegeben, andererseits soll sie selbst in lichten Momenten Zweifel an der Selbstmordversion geschürt haben.
Zumindest in der britischen Presse bleibt „Hitlers nordische Göttin“ virulent, bis sie 1948 den Spätfolgen der Schussverletzung erliegt. Und so manches Rätsel eines kurzen, exzentrischen und wahrlich romanhaften Lebens hinterlässt. Um so wichtiger war die professionelle und sehr seriöse Arbeit für diese ebenso spannende wie schier unglaubliche Biographie.

# Michaela Karl: Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an. Unity Mitford. Eine Biographie; 397 Seiten, div. Abb.; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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