IAN McEWAN: NUSSSCHALE
So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau. Sagt ein Fötus und damit der wohl
ungewöhnlichste Ich-Erzähler der Literaturgeschichte. Und mit diesem einzigartigen Satz
beginnt denn auch Ian McEwans jüngster Roman Nussschale.
Entstanden sei dieser Krimi aus einer unwiderstehlich albernen Idee, räumt
der britische Erfolgsautor ein. Was aber im Laufe eines ganzen Romans leicht platt und
peinlich hätte werden können, hat McEwan zu einem wahren Geniestreich werden lassen, der
ihm beim Verfassen selbst spürbar ein süffisantes Vergnügen gewesen ist.
Dem unbenannten Fötus, der so kurz vor der Geburt bereits in Kopflage schwebt, einen
Namen zu geben, fällt ganz leicht: Hamlet. Denn tatsächlich entfaltet sich hier das
Shakespeare-Drama im heutigen London, wo Trudy und Claude Gertrude und Claudius
lassen grüßen! - Mordpläne schmieden. Gegen seinen Bruder John, der zugleich Erzeuger
des Ich-Erzählers und der Entfaltung der neuen Beziehung im Wege ist.
Die schöne Trudy hat den schöngeistigen John, der weder als Liebhaber noch als Dichter
und Verleger eine große Nummer ist, quasi aus seinem eigenen Haus verjagt. Um es um so
öfter und ungestümer mit dem ungehobelten virilen Bauunternehmer zu treiben. Was
Klein-Hamlet immer wieder nervt, wenn da so geradezu angsteinflößend an seine Behausung
geklopft wird. Ohnehin macht insbesondere diese zur völligen Passivität verurteilende
Enge und Unausweichlichkeit den speziellen Reiz seiner Erlebniswelt aus.
Zumal McEwan vor Geistesblitzen nur so sprüht, wenn er den extrem altklugen Ich-Erzähler
unter anderem als Weinkenner outet. Schließlich pichelt seine Mutter trotz der
Schwangerschaft ziemlich ungezügelt drauf los und das führt zu solch köstlichen
Feststellungen des unwillkürlich mitgenießenden Fötus: ...wie herrlich ein durch
die Plazenta dekantierter Burgunder schmeckt. Aber auch wenn er spitzfindig über
die per mitgehörten Radio- und Fernsehensendungen kennengelernten Weltenläufte sinniert,
ist das ebenso hellsichtig wie bissig gestrickt.
Dieses Hamletchen gebärdet sich mindestens so frühestkindlich weise wie einst Oskar
Matzerath. Nur dass er als unausweichlicher Mordzeuge ein zum Fatalismus verurteilter Held
ist, den die geliebte Mutter nicht einmal behalten will. Und dabei bietet dieser höchst
satirische Roman zu Intelligenz und Eleganz auch noch jede Menge schwarzhumorige Satire.
Ian McEwan erweist sich zudem einmal mehr als hinreißender Stilist und er fand mit
Bernhard Bronnen einen kongenialen Übersetzer.
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