ANNA SNOEKSTRA: „IHR LETZTER SOMMER“


Clever und gerissen war die 24-Jährige zwar, trotzdem hat ein Ladendetektiv die Rumtreiberin jetzt erwischt und die Polizei kommt. Bevor sie jedoch in Untersuchungshaft kommt, spielt sie einen letzten heiklen Trumpf aus und erklärt: „Mein Name ist Rebecca Winter. Ich wurde entführt.“
Durch einen schnöden Zufall hatte sie bei einer Fernsehsendung erfahren, dass die 16-jährige Rebecca im Januar 2003 vom Job in einem Burger-Restaurant bei Canberra nicht heimgekehrt und seitdem verschwunden war. Das wichtigste aber: sie sah der Ich-Erzählerin täuschen ähnlich und ihre Leiche war nie gefunden worden. Und man erfährt von der Rumtreiberin ansatzweise, dass sie nichts zu verlieren hat.
Das ist der Einstieg zu Anna Snoekstras Thriller „Ihr letzter Sommer“. Schon der Slalom bei der Kriminalpolizei, die die Echtheit der Identität zu prüfen versucht, wird brisant. Mäßiger Aufklärungseifer und die Verschlagenheit der Ich-Erzählerin bringen sie allerdings tatsächlich dorthin, wohin sie zumindest vorerst will: zur Familie der echten Beckie.
Doch während nun die Begegnung und die „Wiederannäherung“ nach elf Jahren fesseln, kommt der erste Wechsel ins Jahr 2003 zu Beckies letzten Tagen. In die dringt man ebenso bruchstückhaft ein wie in ihre Gefühlswelt, die nicht zuletzt von einer gewissen Paranoia geprägt ist. Die „neue“ Beckie aber genießt das Wohlleben, schlüpft immer mehr in das Leben der echten und nur ansatzweise erfährt der Leser kleine Mosaikstücke aus ihrem Vorleben.
Der stetige Blickwechsel erzeugt eine immense Sogwirkung, zugleich führen immer neue Erkenntnisse und Überraschungen zu einem ständigen Schwanken der Sympathien für die beiden jungen Frauen. Zumal auch Beckie ihre Geheimnisse hatte. Vor allem das spezielle Hobby, zu dem sie mit ihrer besten Freundin Lizzie durch die Stadt zog – zwecks Ladendiebstählen.
Doch nicht etwa aus Mode-Verrücktheit, vielmehr tarnt sie mit den vermeintlich teuer gekauften Sachen, dass sie das Geld aus ihrem Job heimlich bunkert. Die Ersatz-Beckie aber lernt nun nicht nur diese Lizzie kennen, sondern auch Beckies etwas jüngere Zwillingsbrüder, die bereits ausgezogen und berufstätig sind. Und sie stößt auf verwirrende Verhaltensweisen, denn so ganz normal scheint diese Familie Winter nicht zu sein.
Mehr aber sei über die weitere Entwicklung nicht verraten, denn die macht der Bezeichnung Thriller alle Ehre. Und der jungen Autorin ist wahrhaft ein solch unglaublich dunkler Roman aus der Hitze Australiens gelungen, dass es im Wortsinne bis zur letzten Zeile hochspannend und überraschend bleibt.

# Anna Snoekstra: Ihr letzter Sommer (aus dem Englischen von Jan Schönherr); 304 Seiten, Klappenbroschur; HarperCollins Verlag, Hamburg; € 16,99

 
WOLFGANGA. NIEMANN (wan/JULIUS)

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