WOLF BIERMANN: „WARTE NICHT AUF BESSERE ZEITEN!“

 
Wolf Biermann und Deutschland, das birgt so viel Symbolträchtiges in sich wie bei kaum einem anderen Zeitgenossen. Pünktlich zum 80. Geburtstag in diesem November legt der Liedermacher und Lyriker seine Autobiographie vor mit dem Titel „Warte nicht auf bessere Zeiten!“ nach einem seiner frühen Streitgesänge.
Vom ersten Satz an erlebt man Biermann als den gewohnt wortgewaltigen Erzähler und Bekenner. Mag er auch ein bekennender Narziss sein, so bleibt er durchgehend eine ehrliche Haut. Und wie er zu schreiben versteht, das fesselt von der ersten Zeile an, wenn er von seiner proletarischen Geburt erzählt, vom Vater Dagobert, Kommunist und Jude, der ihm dann auf ewig eingebrannte Weise sehr früh durch die Nazis verloren geht.
Ebenso großartig wie beklemmend schildert er auch die Operation „Gomorrha“, jene infernalischen Bombenangriffe im Juli 1943, die einen verheerenden Feuersturm in seiner Geburtsstadt Hamburg verursachen, dem er mit Mutter Emma nur knapp entgeht. Hier ein miserabler Schüler, schickt ihn die Mutter mit 16 – vor dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 – ins vermeintlich bessere Deutschland und er macht in der DDR ein so gutes Abitur, dass er bald auch studieren darf.
Um dann jedoch mit viel Chuzpe – und er bezeichnet sich trotz der Achterbahn seines Lebens bis heute als „Glückskind“ - völlig unbeleckt 1957 bei der großen Helene Weigel vorzusprechen und prompt eine Stelle im berühmten Berliner Ensemble zu ergattern. Noch glücklicher erweist sich dann das Kennenlernen des berühmten Komponisten Hanns Eisler.
Der entdeckt das Talent Biermann als Liedermacher und Anfang der 60er Jahre beginnt dessen Karriere als solcher. So überzeugt er als Kommunist ist, so verquer werden seine Lieder, in denen er sich an den Widersprüchen des real existierenden Sozialismus im rigiden Einparteienstaat reibt. Doch bei allem Dissidentenverhalten – Biermann ist nicht nur rebellisch und frech, er ist auch so idealistisch, dass er die DDR quasi von innen heraus zum Besseren verändern will.
Einen spannenden bis aberwitzigen Widerstreit schildert der Überzeugungstäter und man muss sich nicht wundern über die sehr exakten Erinnerungen und manche scheinbar erstaunlichen Durchblicke. Grundlage der umfangreichen Autobiographie sind nämlich nicht nur die zeitlebens geschriebenen und zu DDR-Zeiten erfolgreich versteckten Tagebücher. Biermanns Stasi-Akten verhalfen ihm als einzigartiger „Service“ zu viel zuvor unbekanntem Wissen, denn die umfassen 10.000e Seiten und reichen selbst bis in seine westdeutsche Zeit.
Die bekanntlich sehr abrupt einsetzte, nachdem er am 13. November 1976 – dem Todestag seines heftig vermissten Vaters – das legendäre Konzert in Köln mit viel Galle von sich gegeben hatte. Als Verleumder und Verräter wurde er drei Tage später ausgebürgert. Mit ungeahnten Folgen für die Staatsmacht und nicht umsonst wird gesagt, dieser törichte Akt sei der Anfang vom Ende der DDR gewesen.
Was Biermann allerdings und wohl zu recht dahingehend korrigiert, dass nicht seine Ausbürgerung sondern der umgehend in der DDR einsetzende Protest namhafter Künstler dagegen eine Lawine „grassierender Insubordination der Namenlosen“ auslöste. Biermann löste sich trotz all dieser Erfahrungen erst in den 80er Jahren von seinen tiefsitzenden Überzeugungen und den Hoffnungen auf einen guten Sozialismus – die östliche Hälfte war ihm stets das bessere Deutschland.
Den endgültigen Bruch vollzieht er erst durch ein Treffen mit dem berühmten Schriftsteller und Abweichler Manès Sperber („Eine Träne im Ozean“), der ihn mit der Erkenntnis überzeugt: „Es kann keinen guten, keinen richtigen Kommunismus geben.“ Entlang dieses Werdegangs von der bewussten Übersiedlung in die DDR bis hin zu Abkehr von diesem Glauben sprechen seine Lieder eine faszinierende Sprache.
Biermann schreibt in seinem Lebensrückblick auch über die Entstehungsgeschichte vieler dieser Werke. Einen Überblick über dieses Werk und eine hervorragende Ergänzung zur Autobiographie bietet da der bibliophil aufgemachte Band „Im Bernstein der Balladen“. Von 1960 bis ins laufende Jahr reichen diese Lieder und Gedichte. Da fehlt weder die „Stasi-Ballade“ noch „Ermutigung“, das zur heimlichen Hymne der politischen Häftlinge wurde. Und dabei sein muss natürlich auch die „Ballade vom preußischen Ikarus“, erstmals folgenreich in Köln 1976 öffentlich vorgetragen.
Das Alles ist ebenso deftig wie virtuos und mitreißend geschrieben. Bei seinem Privatleben allerdings zeigt sich der bekennende „Weiber-Leiber-Zeitvertreiber“ bei aller Neigung zur ungeschönten Offenheit als Mann von Stil. Er verschweigt seine großen Lieben zwar nicht, von denen er u.a. zehn Kinder von fünf Frauen vorweisen kann, Blicke durchs Schlüsselloch gibt es jedoch nicht.
Fazit: ein einzigartiges Leben mitten in der jüngeren gesamtdeutschen Geschichte, großartig ausgebreitet von einer außerordentlichen Persönlichkeit.

# Wolf Biermann: Warte nicht auf bessere Zeiten! Die Autobiographie; 544 Seiten, div. Abb.; Propyläen Verlag, Berlin; € 28

 
# Wolf Biermann: Im Bernstein der Balladen. Lieder und Gedichte; 240 Seiten; Propyläen Verlag, Berlin; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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