GEORGE PROCHNIK: DAS
UNMÖGLICHE EXIL
Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem 60. Lebensjahr in einem kleinen
brasilianischen Dorf sitzen würde, bedient von einer barfüßigen Schwarzen und Tausende
von Kilometern entfernt von all dem, was vormals mein Leben war, von meinen Büchern,
Konzerten, Freunden, Unterhaltungen. Sätze von Stefan Zweig, berühmt, wohlhabend,
entwurzelt und resigniert im Exil niedergeschrieben kurz vor dem Freitod im Februar 1942.
Seinen Weg vom gefeierten Literaten über verschiedene Exil-sTationen bis zu diesem Ende
untersuchte George Prochnik in seiner Chronik Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am
Ende der Welt. Verständnis und intensives Interesse darf man bei dem US-Autor schon
deshalb erwarten, als seine Eltern ebenfalls als österreichische Juden ihre Heimat durch
Emigration wegen der Nazi-Herrschaft verloren.
Als Zweig 1934 Österreich verlässt und sich im englischen Exil niederlässt, ist er
einer der international erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit. Als
gewandter Kosmopolit war er das Reisen gewohnt, doch dies ist anders. Die Nazis lassen
auch seine Bücher verbrennen und als sie sich 1938 Österreich einverleiben, verliert er
neben dem Beruf und der Heimat auch noch seine Staatsangehörigkeit.
Natürlich bedrückte es den Weltläufigen, unversehens als Deutscher eingestuft zu
werden, doch Zweig gehörte unter seinesgleichen ja zu den Privilegierten. Wirtschaftlich
gut siituiert, mittlerweile britischer Staatsangehöriger und mit seinem großen Namen
ohne Visa-Probleme, sorgte er sich gleichwohl zunehmend um seine Sicherheit und die seiner
viel jüngeren Frau Lotte. Es fielen nicht nur Bomben auf England, es gab berechtigte
Ängste vor einer deutschen Invasion.
Weshalb er nach New York übersiedelte, wo er zwar immer noch weiterarbeitete, aber unter
einer sich verschlechternden Stimmung vor Ort und unter den vielen hereinströmenden
anderen Flüchtlingen litt. Der stets so freundliche Literat, der schon zuvor zahlreichen
Kollegen finanziell und mit Gefälligkeiten geholfen hatte, empfand die Situation zutiefst
bedrückend und wurde zunehmend unleidlicher.
Und mit gerade 60 Jahren begann er deutlich zu altern, wurde tieftraurig und immer
hoffnungsloser in seiner Suche nach einem sicheren Hafen, der die Heimat hätte ersetzen
können. Hinzu kam die schwere Enttäuschung über Europa und seine Menschen. Mag er
seinen letzten Zufluchtsort in Brasilien auch für einen Moment als Idylle empfunden
haben, so war er doch längst ein gebrochener Mann.
Nirgendwo mehr hinzugehören, nirgendwo mehr hingehen zu können, ohne jede Hoffnung auf
einen Neubeginn, ging er am 23. Februar 1942 aus einem Leben, das er nicht mehr ertragen
konnte. Ehefrau Lotte, 27 Jahre jünger als er, folgte ihm als vielleicht tragischste
Figur in diesem Trauerspiel in den Tod.
Prochnik hat das Alles sehr persönlich geschrieben und erweckt damit viel Nähe und
Anteilnahme. Dies umso mehr, als Stefan Zweig geradezu exemplarisch ist als ein aus dem
gewohnten Leben Gerissener, als sensibler Kosmopolit, dem der Heimathafen genommen wurde:
ein Exilant ohne Hoffnung auf Rückkehr.
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