ELIF SHAFAK: DER GERUCH DES
PARADIESES
Einen hochaktuellen und ebenso politischen wie spannenden Roman legt Elif Shafak, eine der
angesehensten türkischen Schriftstellerinnen, mit ihrem neuen Werk unter dem Ttiel
Der Geruch des Paradieses vor. Die Rahmenhandlung setzt im Frühjahr 2016 in
Istanbul ein, als Peri, junge Mutter aus der Oberschicht, überfallen wird und selbst
überrascht ist, wie sie ausrastet und physisch über sich hinauswächst.
Durch den Überfall kommt sie auch zu spät zu einer Dinnerparty und beides zusammen
bringt sie zurück zu intensiven Erinnerungen an ihre Studentenzeit in Oxford vor gut 14
Jahren. Damals traf sie in Oxford auf Shirin und Mona, als sie gemeinsam das exklusive
Seminar mit dem schlichten Titel Gott absolvierten. Das hielt der
charismatische Professor Azur ab, ein Leuchtturm an kritischem Denken und Weltoffenheit.
Als Peri bald auch mit den beiden Kommilitoninnen in einer Wohngemeinschaft landet,
könnte Azur im Hintergrund seine Finger im Spiel gehabt haben. Er prägte den
philosophischen Satz, dass Gott ein schlichtes Wort von rätselhafter Bedeutung sei. Und
das ist es auf sehr auf sehr unterschiedliche Weise auch für die drei jungen Frauen. Da
ist Shirin als Britin iranischer Herkunft, die Glauben und beengte Moralvorstellungen
längst über Bord geworfen hat.
Während sie sich nonchalant als die Sünderin des Trios das Leben genießt, trägt die
Ägypterin Mona ihr Kopftuch aus voller Überzeugung und erachtet jede noch so geringe
Kritik an Allah und seinen Propheten als persönliche Beleidigung. Zwischen dieser
glasklaren Gläubigen und der libertären Shirin schwankt Peri als die Verwirrte.
Exemplarisch steht sie damit aber auch für ihre türkische Heimat in ihrer Zerrissenheit
zwischen dem weltlichen Kemalismus und der aktuellen Welle hin zum Islamismus unter
Erdogan.
Allerdings kennt Peri das bereits von daheim von den Eltern, denn die Familie ist entlang
der jüngsten Geschichte der Türkei gespalten. In der 80er Jahren wurde ihr Bruder als
Kommunist verhaftet, gefoltert und eingekerkert, wogegen ihr Vater ein derartiger
Atatürk-Verehrer ist, dass er überall Bilder seines Idols aufgehängt hat, Glaubensdinge
eher belustigt ablehnt und ansonsten dem Alkohol frönt.
Völlig entgegengesetzt dazu hat sich die Mutter Peri ist ein später Nachkömmling
im Alter so intensiv dem Islam zugewandt, dass sie zu geradezu missionarischem
Eifer neigt und Männern generell nicht mehr die Hand gibt. In Oxford aber wird die so
hin- und hergerissene Peri in heftige Dispute mit ihren Mitbewohnerinnen verwickelt, die
vor aktueller Brisanz nur so sprühen. Dabei setzt es auch geharnischte Kritik an den
Sünden der Religionsanhänger jeglicher Glaubensrichtungen wie auch denen des
Kapitalismus und des Kolonialismus.
Die wahren Höhenflüge dieses intellektuell herausfordernden und zugleich
außerordentlich lebendig erzählten Romans aber sind die hinreißenden
Auseinandersetzungen, in denen Professor Azur gegen jegliche weltanschauliche Verbohrtheit
argumentiert. Mag er auch ein Manipulator sein, in erster Linie ist er eine Art Advocatus
Diaboli mit messerscharfer Logik, der nicht nur für die Eiferer und Fanatiker, die ihn
persönlichen attackieren, den brillanten Satz hervorbringt: Wütende und Aggressive
können nichts über Gott lernen.
Geschliffen, souverän und mit viel satirischer Feinheit lässt die in Großbritannien
lebende Erfolgsautorin die traditionellen Wertesysteme kollidieren und die tiefen Gräben
zwischen ihnen bis ins dramatische Finale in der hochmögenden Dinnerparty hinein
aufscheinen. Fazit: ein brillantes Stück Gesellschaftsliteratur vor dem Hintergrund sehr
real drohender Umwälzungen.
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