ANTONIA MICHAELIS: DIE
ATTENTÄTER
Der Beginn war Angst und Glück und ein dunkles, staubiges Treppenhaus in Berlin. Dort
sehen sich Cliff und der aus Frankreich herziehende Alain erstmals. Die Dritte im Bunde
wird Margarete, nur wenige Monate älter als die beiden Vierjährigen. Im Nu wie magisch
voneinander angezogen, werden sie zu einem Trio, bei dem keiner je wieder so ganz
voneinander loskommt.
Und diese Drei stehen wechselseitig im Mittelpunkt des hochbrisanten Jugendthrillers
Die Attentäter, den Erfolgsautorin Antonia Michaelis unmittelbar unter dem
Eindruck der Attentate vom 13. November 2015 in Paris verfasst hat. Zunächst entwickelt
sich hier eine Kindheit und Jugend in dem Mietshaus am Prenzlauer Berg, die von inniger
Freundschaft wie auch von deutlichen Gegensätzen geprägt ist.
Während Alain und Margarete recht wohlbehütet aufwachsen, leidet Cliff schon als Kind
darunter, dass sich seine türkische Mutter zwecks eigener Karriere abgesetzt hat.
Allerdings vermutet Cliff wohl nicht zu Unrecht, dass seine Wutattacken und
Kontrollverluste schon als Kind mit dazu beigetragen haben. Sein Vater wiederum neigt zum
Trinken und gibt Cliff nicht etwa Halt, vielmehr sorgt er neben allerlei Streitigkeiten
für ein Schlüsselerlebnis an Kälte und Ausgrenzung.
Ausgerechnet zu Weihnachten reagiert er auf ein Fehlverhalten damit, dass er den Jungen in
einen Schuppen im Hof einsperrt. Erst Alain findet ihn morgens und befreit in aus dem
eiskalten Gefängnis. Die Beiden verbindet bei aller Gegensätzlichkeit des Wesens und des
Temperaments das große Talent zum Zeichnen, bei dem Cliff aber auch noch mit der von ihm
eher ungeliebten Gabe eines fotografischen Gedächtnisses gesegnet ist.
In wechselnden Perspektiven der drei Protagonisten, die so fließend ineinander
übergehend erzählt werden, dass sich eine intensive Sogwirkung einstellt, erlebt man ihr
Heranwachsen samt den typischen Gefühlsaufwallungen auch untereinander. Verwirrend
allerdings ist für beide Jungen, welche Emotionen sie dem Gegenüber empfinden. Und sie
nicht wahrhaben wollen.
Bei aller Nähe jedoch konnen Alain und Margarete den psychisch schwierigen Cliff nicht
von Abwegen abhalten. So führt ihn sein Rebellentum schließlich auf seiner düsteren
Suche nach Halt in die Fascho-Szene. Dabei ist er eigentlich kein Nazi und nicht so dumpf
und naiv wie diese Kumpels. Doch schon mit gerade 15 ist ihm bewusst, dass da tief in ihm
etwas noch viel Dunkleres schlummert.
Dann kommt es zu einer fatalen Konfrontation bei einem Aufeinandertreffen
seiner Faschos und der Antifa-Gruppe, in der Alain steht. Während immer
wieder Margarete die Vernünftige und Ausgleichende ist, führt der Weg den gestörten
Cliff in die Psychiatrie. Um danach eine Zeitlang von der Bildfläche zu verschwinden.
Und dann kehrt er zurück nach Berlin, stark verändert: er ist zum Islam konvertiert.
Doch es ist ein radikaler Islamismus, den er kalten Herzens für sich angenommen hat:
Der Einzige hinter den Dingen war nie zu mir gekommen, ich hatte mich ins Regelwerk
seiner irdischen Vertreter gefügt, um mich an etwas festhalten zu können. Diese
irdischen Vertreter aber sind vom IS und sie schicken ihn ins Kalifat in den Irak.
Er bringt sich als gnadenloser Kämpfer ein und natürlich trägt er sich auch in die
Liste der Selbstmordattentäter ein. Dann jedoch erhält er den Auftrag für etwas viel
Größeres und dafür kehrt er erneut nach Berlin zurück. Dort soll der jetzt gerade
20-Jährige ein großes Fanal setzen, den Tag des Blutes, passend zur
Weihnachtszeit. Hatte es bis hierhin schon irre, teils nur schwer zue ertragende Passagen
gegeben, öffnet sich nun endgültig die verkrüppelte Psyche dieses intelligenten jungen
Mannes mit seinen islamistisch unterfütterten Wahnvorstellungen von Rache und neuer
Ordnung.
Ein infernalisches Finale hebt an, und wenn dabei so vieles schiefläuft, dann hat der
verzweifelte Alain ein letztes Mal seine Finger im Spiel. Genaueres sei hier nicht
verraten, nur dass das ganz tief unter die Haut geht und lange nachhallt. Vieles klingt
verstörend und erscheint doch so autentisch, gerade wenn einer wie Cliff sich als
formbare Masse auf der Suche nach Form empfand - bis er genau diese in so
schrecklicher Weise annahm.
Fazit: ein brillanter Thriller, der nicht nur Jugendliche ab 16 fesseln wird. Vielmehr sei
er gerade auch Erwachsenen unbedingt anempfohlen. Dabei glänzt dieser Roman nicht nur mit
seiner ebenso komplexen wie anspruchsvollen Geschichte, mit seiner poetischen und zugleich
zielführenden Sprache wie auch mit der hinreißenden Bildhaftigkeit befindet er sich
zugleich auf hohem literarischen Niveau.
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