LUTZ BUDRASS: „ADLER UND KRANICH“


Als Lutz Budrass 1999 eine Studie über Rahmen und Ausmaß der Verstrickungen der Lufthansa während des Dritten Reiches und hier insbesondere hinsichtlich der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in den Kriegsjahren verfasste, unterließ das Unternehmen die vereinbarte Veröffentlichung dieser Studie.
Erst als der Historiker der Ruhr-Universität Bochum sich anschickte, mit „Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926-1955“ eine umfassende Chronik vorzulegen, brachte der Konzern die Zwangsarbeiterstudie verbunden mit einem Bildband doch noch heraus. Und es gab tatsächlich einige sehr unschöne Flecken auf dem strahlenden Image der angesehenen Fluggesellschaft.
Budrass verfolgt auf der Grundlage umfangreichen Archivmaterials die Entstehungsgeschichte der 1926 durch den Zusammenschluss von „Junkers Luftverkehr“ und „Aero Lloyd“ entstandenen Luftfahrtgesellschaft, die seinerzeit noch „Luft Hansa“ hieß. Was da nach außen als privates Unternehmen aufgezogen wurde, war in Wirklichkeit eine „Rüstung durch die Hintertür“ und der Autor lässt die ineinander verflochtenen Aspekte von Unternehmens-, Militär- und Technikgeschichten deutlich werden.
Nach dem Ersten Weltkrieg quasi entwaffnet, dazu zwar mit der Junkers F 13 das weltweit erste reine Verkehrsflugzeug gebaut, aber eben auch die strengen Beschränkungen für Produktion und Betrieb von Luftfahrzeugen durch den Versailler Vertrag – da galt es, erfinderisch zu werden. Nach außen wurde der Gedanke von der „Magie des Fliegen“ wie auch der Ruf deutscher Ingenieurskunst hochgehalten. Hinter der Luftfahrteuphorie aber standen die militärischen Absichten.
Nicht von ungefähr wurde Erhard Milch die prägende Gestalt beim Aufbau der „Luft Hansa“, der unter den Nationalsozialisten folgerichtig vom Technischen Direktor und Vorstandsmitglied des Unternehmens bis zum Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium aufstieg. Wo er schließlich als Vorsitzender im Range eines Generalfeldmarschalls zugleich im Vorstand der Lufthansa saß. Und das als trickreich arisierter Halbjude, der sich eigenen Vater notariell bescheinigen ließ, dass angeblich ein arischer Onkel der wahre Erzeuger war – Göring war der Fachmann wichtiger als die Wahrheit.
Von Beginn an wurde das Unternehmen mit vielen Millionen bezuschusst, denn so sehr sich Deutschland bereits in den 20er Jahren des dichtesten und längsten Luftverkehrsnetzes rühmen konnte – ein wirtschaftlicher Betrieb war in jenen Zeiten noch nirgends auf der Welt denkbar. Die Verquickung von privatem Flugunternehmen und vorausschauenden militärischen Absichten zeigte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten um so deutlicher.
Als Paradebeispiel führt Budrass die berühmte Junkers Ju 52 an, ein dreimotoriges Passagier- und Frachtflugzeug. Die ersten über 700 gebauten Exemplare waren als „Behelfsbomber“ konzipiert, denn die Klappen für nachrüstbare Bombenschächte waren ebenso eingebaut wie Möglichkeiten für die Defensivbewaffnung. Als schließlich eine eigene Luftwaffe aufgebaut werden konnte, wurde die „Luft Hansa“ vor allem zu einer Art privatem Unterstützungsunternehmen umfunktioniert.
Das lieferte nicht nur Piloten und Techniker, im Krieg wurde es zum unverzichtbaren Reparaturbetrieb für beschädigte Flugzeuge. Die Einnahmen aus den Frontreparaturwerkstätten machten den Hauptumsatz aus und waren aus einem simplen Grund immens: die „Luft Hansa“ ließ tausende von Zwangsarbeiter für sich schuften, wobei selbst Kinder ausgebeutet wurden. Ein besonders schändliches Kapitel der Unternehmensgeschichte, zumal die viel späteren Entschädigungen eher spärlich ausfielen und nur zögerlich flossen.
Was denn auch die Versuche erklärt, diesen Teil der Chronik möglichst auszublenden und sich 1955 als gewissermaßen sauber neugeboren zu präsentieren. Doch es waren nicht nur Logo und Name geblieben – mit Kurt Weigelt und Kurt Knipfer prägten zwei Nachkriegsgründer die „neue“ Lufthansa, die schon unter den Nazis aktiv gewesen waren. Gleichwohl war es ein Aufstieg wie Phönix aus der Asche, als im April 1955 der planmäßige Flugbetrieb wiederaufgenommen wurde und am 8. Juni desselben Jahres eine „Super Constellation“ mit dem Kranich am Heck zum ersten transatlantischen Flug abhob.
Und hier nun schließen sich die Exkurse des Historikers an, dessen Schwerpunkte die Luftfahrt-, Rüstungs- und Wirtschaftsgeschichte ist. Technik und Innovationen, das Entstehen von Flughäfen und andere Aspekte der zivilen Luftfahrt werden beleuchtet. Fazit: ebenso fachkundig wie objektiv wird hier die bewegte und teils ganz und gar nicht unbefleckte erste Phase der 90-jährigen Unternehmensgeschichte der Lufthansa dargelegt.

# Lutz Budrass: Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926-1955; 704 Seiten, div. Abb.; Blessing Verlag, München; € 34,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

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