ISABEL ABEDI: DIE LÄNGSTE
NACHT
Als die 17-jährige Vita nachts im Arbeitszimmer ihres Vaters, eines Verlegers, einen
Blick in das Manuskript wirft, das er gerade begutachtet, ist sie sogleich seltsam
gefesselt. Doch der Vater scheint furchtbar aufgebracht zu sein über die Sache und
verscheucht sie überraschend rüde.
Ohnehin sind ihre Eltern untereinander wie auch ihr gegenüber von einer solchen Kühle
und Distanziertheit, dass sie gleich nach dem baldigen Abitur das Elternhaus, in dem
aus allen Winkeln diese stumme Trauer kroch, verlässt. Die Chance bietet ihr der
gemeinsame Trip in den Süden mit ihren Freunden Danilo und Trixie im VW-Bus. Das ist denn
auch der Einstieg zu Isabel Abedis neuem Jugendroman Die längste Nacht.
So soll der Roman des weltberühmten Schriftstellers Sol Shepard heißen, dessen wenige
Passagen Vita nicht mehr aus dem Kopf gehen. Warum hatte ihr Vater derartig gegen dessen
Veröffentlichung getobt, zumal die darin erkennbare Geschichte so ganz anders ist als
dessen übliche Thriller? Um so magischer fühlt sich Vita plötzlich von einem kleinen
Ort auf der Landkarte angezogen, als ihre Fahrt die Toscana erreicht.
Und dieses Viagello, in dem die Drei auf ihren Wunsch hin einen Zwischenstopp einlegen,
ist auch der Handlungsort in Shepards Roman eingestreute Passagen lassen
schicksalhafte Verknüpfungen ahnen. Prompt fällt der ohnehin seltsam berührten Vita
dann ein junger Mann im Wortsinne vor die Füße: der Seiltänzer Luca. Eine wahrhaft
elektrisierende Begegnung, allerdings nicht nur weil die Beiden sich sofort voneinander
angezogen fühlen.
Vieles in diesem Dorf deutet auf eine Verbindung zu ihrer vor 13 Jahren verstorbenen
Schwester Livia hin, die doch angeblich Opfer eines Autounfalls war. Was aber hatte
Viagello mit Livia zu tun und inwieweit hat auch Lucas Familie Berührungspunkte zu ihr?
Man spürt ihre Zerrissenheit mit all den Zweifeln und Ahnungen um dunkle
Familiengeheimnisse, die sich Stückchen für Stückchen offenbaren und für immer neue
Überraschungen sorgen.
Ein dunkles Gebräu aus Lügen und verborgenen Wahrheiten, aus denen Shepard offenbar ein
Stück Weltliteratur machen will, erschüttert nicht nur Vita. Hat Livia womöglich hier
Selbstmord begangen und das nicht allein? Bis zum packenden Finale fesselt diese
Geschichte und
überzeugt vor allem auch mit ihren hervorragend gezeichneten Charakteren. Fazit: Isabel
Abedi zeigt einmal mehr ihre Meisterschaft mit einem Buch, das weit mehr ist als nur ein
Liebesroman der besonderen Art für Teenager und jung gebliebene Erwachsene.
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