SARIT YISHAI-LEVI:DIE
SCHÖNHEITSKÖNDIGIN VON JERUSALEM
Sarit Yishai-Levi hat nach vier Sachbüchern mit Die Schönheitskönigin von
Jerusalem ihren ersten Roman verfasst und mit dieser Familiengeschichte über vier
Generationen in ihrer israelischen Heimat einen Riesenerfolg verbucht.
Ein besonderer Grund dürfte dabei ihre sephardische Abstammung sein, denn im Roman spielt
dieser Hintergrund mit den Juden, die einst im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben
wurden, eine zentrale Rolle. Der Gegensatz zwischen den oft sehr konservativen Sephardim
und den ab dem späten 19. Jahrhundert vor allem aus Osteuropa nach Palästina
hereinflutenden Ashkenazim erscheint fast so unüberbrückbar wie der zwischen Juden und
Arabern und selbst ihre Sprachen sind mit dem jüdischen Espanyol und dem Jiddisch
einander arg fremd.
Das muss auch der Delikatessenhändler Rafael Ermoza erfahren, als er sich noch zu
osmanischen Zeiten ausgerechnet in eine blauäugige blonde Ashkenazin verliebt. Eine
solche Vermischung aber wäre eine Schande für die Familie und verstieße gegen streng
eingehaltene Traditionen. Und wird unerbittlich unterbunden, indem die Familie Rafael mit
der gefühlskalten Merkada verheiratet. Was zugleich der Beginn einer Art Fluch für die
Frauen der Ermozas wird.
So wie sie weder ihren Männern noch ihren Kindern richtige Liebe geben können, so
bekommen sie von ihren Männern nicht mehr als das Pflichtgemäße. Unausweichlich
erscheint, dass die Männer andere Frauen lieben, dann jedoch in die Pflicht genommen
werden und sich dem fügen. Mag die Familie noch so angesehen sein, glücklich ist niemand
von ihnen und die Beziehungen sind eher gallig.
Der zentrale Handlungsstrang beschreibt das Leben der bildschönen grünäugigen Luna,
Enkelin von Rafael und Merkada. Sie vergöttert ihren Vater Gabriel und verabscheut ihre
Mutter Rosa. Diese plumpe Waise hatte Gabriel aus ähnlichem Grund auf Familienbeschluss
heiraten müssen wie schon sein Vater seine Merkada. Rosa wiederum lässt ihren Frust
insbesondere an Luna aus.
Zusammengetragen wird diese Familienchronik schließlich von Lunas Tochter Gabriela nach
dem Tod der wie könnte es anders sein ebenfalls ebenso ungeliebten wie
liebesunfähigen Frau und Mutter. Doch es kommen viele der hervorragend entwickelten
komplexen Charaktere zu Wort, teils in solch unvermittelten Wechseln der Erzählebenen,
dass die Lektüre zur Herausforderung wird. Doch es lohnt sich allemal, sich dieser zu
stellen, denn die Autorin hat ungeheuer viel zu erzählen und sie hat das reiche Geschehen
geschickt in die politische Entwicklung Palästinas und des schließlich daraus
erwachsenden Israel eingebettet.
Eine schier überwältigende Fülle von kulturellen und religiösen Eigenheiten und die
Zwänge althergebrachter Sitten in Familienleben und Religion fesseln allein schon mit
vielen hier kaum bekannten Aspekten. Und dann dieser so folgenreiche Fluch, wie ihn die
moderne, neugierige Gabriela von der Großmutter mit grimmigen Worten geschildert bekommt:
Dass die Männer der Familie Ermoza andere Frauen wollen und nicht ihre
eigenen.
Sarit Yishai-Levi pflegt dazu eine hinreißende Prosa, lebensprall und mit einigem Humor
wie z.B. bei einer Passage über die Liebesaffäre Gabriels mit einer Prostituierten nach
der jahrelangen mühseligen Pflichterfüllung daheim. Fazit: ein ebenso anspruchsvoller
wie äußerst unterhaltsamer Generationenroman mit exzellentem Zeit- und Lokalkolorit.
Wünschenswert wäre wegen zahlreicher sephardischer Redewendungen allerdings ein Glossar
zum leichteren Verständnis mancher Ausdrücke und Feinheiten gewesen.
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