DBC PIERRE: FRÜHSTÜCK MIT
DEN BORGIAS
Ariel Panek, gerade 30 und polnischstämmiger Professor für Informatik in Boston, ist
durch und durch ein Nerd. Ständig trägt er einen Kapuzenpulli, kann zu viel Nähe nicht
ab, und als er nun auf dem Weg zu einem Kongress in Amsterdam ist, tut er das aus Gründen
der Tarnung getrennt von seiner Studentin und Geliebten Zeva.
Doch während die in Brüssel auf dem Bahnhof wartet, um mit ihm von dort aus
weiterzufahren, muss sein Flug wetterbedingt nach England umgeleitet werden und er landet
zur Übernachtung per Taxi durch dichtesten Nebel im abgelegenen und sichtlich
heruntergekommenen Hotel The Cliff an der Küste. Der eigentliche Graus aber
ist die Tatsache, dass es hier offenbar kaum Handy-Empfang und keinerlei
Internet-Anschluss gibt.
Mit dieser kleinen Vorhölle vor allem für Ariel beginnt Frühstück mit den
Borgias, der neue Roman des australischen Booker-Preisträgers DBC Pierre. Der sich
nun auf zwei Ebenen entfaltet, denn Zeva fühlt sich hilflos gestrandet ohne jegliche
Verbindung zum bewunderten Ariel, dem großen Meister der Künstlichen Intelligenz und der
Algorithmen. Der aber ist dem wenig hilfreichen Hotelpersonal ausgeliefert und mit seinen
Dollars kann er nicht einmal das altmodische Haustelefon aktivieren.
Notgedrungen nimmt er Kontakt auf zu den einzigen Gästen des Hotels, einer wahrhaft
skurrilen Familie namens Borders, was der tumbe Hoteldiener wenig aufheiternd zu
Borgias verhunzt. Machen die Familienmitglieder zunächst nur einen
schrulligen Eindruck, bemüht er sich doch um eine freundliche Annäherung, denn in
ihren Reihen gibt es das einzig funktionstüchtige Handy, das von Zeit zu Zeit Netz hat.
Das Gerät befindet sich allerdings zur Zeit in den Händen der Adoptivtochter Gretchen,
einem geisterhaften Freak von etwa 17 Jahren, und dieser anhängliche Hungerhaken versucht
Ariel sehr direkt zu verführen. Um dann auf seine Abwehr hin wie ein Spuk zu
verschwinden. Und alsbald erschreckende Verhaltensweisen zu zeigen. Je mehr der
ausgehungerte und längst übermüdete Ariel nach einem Algorithmus der Nacht
sucht, desto mehr entgleitet ihm die Gegenwart in eine Art Blase von völliger Fremdheit
von allem, was ihm vertraut ist und Halt bedeutet.
Den verliert allerdings auch Zeva zunehmend nach euphorischer Freude, als sie endlich
SMS-Mitteilungen von ihm erhält. So rauschhaft die auch zunächst auf den kommenden
Kuschelaufenthalt hinweisen, wird die Gestrandete schließlich vollends verunsichert
schreibt wirklich ihr Geliebter diese immer hitziger werdenden SMS-Meldungen, die
in seltsamen Forderungen gipfeln? Und auch ihr entgleiten alle Gewissheiten, die ihr die
so logisch strukturierte digitale Welt bisher gab.
Für den geplagten Ariel aber wird die Nacht zum Albtraum mit für ihn völlig
verstörenden Entwicklungen. Die sich zum Krimi ausweiten und unversehens in die Welt des
Gruselromans hinübergleiten. Mehr aber sei von diesem subtil Gänsehaut erzeugenden Roman
mit den starken tragikomischen Figuren nicht verraten, der im Übrigen geradezu nach einer
Verfilmung schreit.
Mit messerscharfer Prosa, herben witzigen Dialogen und einer gekonnten Schlusspointe
gelingt DBC Pierre hier eine fesselnde hinreißende Abrechnung mit dem Zeitgeist, für den
Hölle dort beginnt, wo der Netzempfang aufhört und wo jüngere Menschen ohne Smartphone
kaum noch den Weg nach Hause finden.
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