ALICE GREENWAY: SCHMALE
PFADE
Fox Island, Penobscot Bay, Maine, man schreibt das Jahr 1973. Der 70-jährige Jim Kennoway
hat sich hier wortkarg und verbittert in das alte, einsam gelegene Sommerhaus der Familie
zurückgezogen. Den Job als renommierter Ornithologe für das American Museum of National
History musste er aufgeben.
Alkohol und Nikotin erforderten die Amputation eines Beins und jetzt hat er sich noch mehr
abgekapselt als früher schon. Niemand soll ihn stören, wenn er sich in seiner gehassten
Immobilität langsam ins Vergessen und ins Jenseits trinkt. Und dann taucht da unversehens
diese junge Frau auf, Cadillac Baketi, tiefschwarz und auffallend exotisch. Sie will sich
in Amerika einleben, bevor sie in Yale ihr Medizinstudium aufnimmt.
Ausgerechnet bei ihm zieht sie ein, da er sie schlecht zurückweisen kann, denn Tosca hat
sie von den Salomonen-Inseln zu ihm geschickt. Der Melanesier ist ein fast vergessener
Freund aus Kriegszeiten. Damals noch als Teenager wurde er als Scout auf den
Pazifik-Inseln ein enger Kampfgefährte Jims gegen die Japaner. Womit längst verdrängt
geglaubte Erinnerungen zurückkehren.
Mit diesem Aufbrechen seiner Isolation beginnt Schmale Pfade, der neue Roman
von US-Autorin Alice Greenway. Nur langsam lässt sie die schwierige Annäherung des
grantigen Alten und der ebenso intelligenten wie behutsamen Frau sich entfalten. Dabei
passieren unerwartete Dinge, die die Flut all der mühsam niedergerungenen Erinnerungen
schier hervorbrechen lassen.
Immer wieder wechseln die Zeitebenen, wobei die Bilder jener Zeit mit Tosca im Sommer 1943
voller Gegensätze sind. Wie der Mann aus dem kargen kalten Maine von der überreichen
tropisch schwülen Natur überwältigt wurde und seine schon in Jugendtagen entstandene
Leidenschaft für die Vogelwelt ins Unermessliche erwuchs. Aber auch die krassen Bilder
von brutalsten Kämpfen mit den verhassten Japsen.
Nur allmählich eröffnet sich Jims schwieriger, widersprüchlicher Charakter. Aber auch
wie er auf sein Leben zurückschaut und immer wieder Reue empfindet über all die Fehler,
die er in seinem Leben begangen hat. Wobei der unverzeihlichste wohl der war, seine innig
geliebte Helen mit Sohn Fergus allein zurückzulassen, um sich mit 40 Jahren noch
freiwillig an die Front zu melden.
Was Wunder, dass er sich bis zuletzt schwer tut mit dem Sohn, der ihn allerdings nie
aufgegeben hat. Und die exotische junge Frau reißt noch mehr alte Wunden auf und Jim
stellt viele seiner Lebensentscheidungen in Frage. Das Alles fesselt mit diesen Kontrasten
aus wunderschönen Naturbeschreibungen, harten Kriegspassagen und dem komplizierten
Miteinander der durchweg großartig gezeichneten Figuren.
Nicht von ungefähr werden Stevensons Schatzinsel wie auch typische
Bilderwelten Hemingways in die atmosphärisch dichte Prosa eingebracht. Alice Greenway
erweist sich als sprachgewaltige Meisterin dieser tief bewegenden Geschichte mit ihrem
steten melancholischen Grundton. Und wenn das Alles auch auf Deutsch zu einem
literarischen Hochgenuss geworden ist, kommt dieses Verdienst der sensiblen Übertragung
durch Klaus Modick zu, bekanntlich selbst ein Romancier von hohen Graden.
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