THOMAS von STEINAECKER: DIE
VERTEIDIGUNG DES PARADIESES
Nicht weniger als eine postapokalyptische Dystopie in der nicht so fernen Zukunft kredenzt
Erfolgsautor Thomas von Steinaecker mit seinem neuen Roman Die Verteidigung des
Paradieses. Europa ist darin weitgehend zerstört und atomar verseucht, allerdings
gibt es noch bewohnte Areale unter Schutzschilden. Die schützen vor der tödlichen
Sonneneinstrahlung und man kann sogar das bevorzugte Wetter unter solchen Kuppeln
arrangieren.
Dann jedoch folgt der ersten Katastrophe die sogenannte Mitteleuropäische mit
fatalen Auswirkungen, als ein außerordentlicher Sonnensturm den großen Schutzschild
über Westeuropa bersten lässt. Nur eine Enklaven bleiben als winzige Paradiese erhalten.
So das einstige Resort in den Berchtesgardener Alpen, in dem ein wesentlicher Teil des
Romans spielt und alles mit dem 15. Geburtstag von Heinz beginnt.
In der seltsamen Idylle im elften Jahr nach der Katastrophe hat er ganze fünf menschliche
Mitbewohner dort. Da gibt es das Liebespaar Chang und Özlem, das schließlich sogar noch
ein Baby bekommt. Des weiteren ist da die alte, demente Anna, die in lichten Momenten mit
ihren medizinischen Kenntnissen nützlich ist. Außerdem wären da noch der Ex-Söldner
Jorden und natürlich ein Chef, der alte Leader Cornelius.
Heinz hat als kleiner Junge noch die Voruntergangszeit erlebt. Nun aber hat
Cornelius ihm in dieser postdigitalen Zeit Papier und Stifte gegeben, um eine Art Tagebuch
zu führen. Für wen auch immer, denn wie sollte eine Zukunft aussehen. Während jedoch
das letzte bisschen Gleichgewicht ihrer Restwelt durch wilde Wettereinflüsse schwindet
und obendrein herrenlose Drohnen kreisen, die einst Pakete brachten, jetzt aber scharf
schießen, hört die kleine Schar Verheißungsvolles.
Nicht ganz Europa oder die ganze Welt sind ruiniert, im fernen Frankreich soll es
lebenswerte Resorts geben. Und so machen die Sechs auf den heiklen Weg, auf dem ihnen
unter anderem rabiate Banden und gefährliche Mutanten begegnen. Nicht nur hier geht es
barbarisch zu, noch übler wird es, wenn man in eines der Arbeitslager kommt. Wer aber
tatsächlich jene wahrhaftig existierende Wohlstandssphäre erreicht, sollte für deren
herrschende Kreise von gewissem Nutzen sein, sonst wird er gnadenlos zurück ins Elend
geschickt.
Wer hier eine spiegelbildliche Version der aktuellen Flüchtlingskrise sieht, dem
versichert Autor von Steinaecker, dass er seinen Roman abgeschlossen hatte, bevor die
riesigen Menschenströme über Mitteleuropa hereinbrachen. Die Parallelen sind gleichwohl
bedrückend, wie ohnehin das gesamte geschehen eine düstere Grundstimmung durchzieht, wo
es vermutlich schlimmer ist, in der Postapokalypse zu leben als in der Apokalypse
gestorben zu sein.
Diese Stimmung vermittelt schon die Prosa mit ihrem speziellen Auftrag an Heinz. Bemüht
er sich lange Zeit, in der Elite-Kunst des Handschriftlichen die mit Anglizismen
durchsetzte foxy Sprache durch fast vergessene Altwörter bis hin zu
Begriffen wie Würde und Anstand anzureichern, verliert sich das
mit Fortschreiten der Flucht in den Westen immer mehr.
Überhaupt schimmert viel Philosophisches aber auch Moralisches durch. Da steht der Frage,
was eigentlich der Mensch noch ist, der schiere Überlebenskampf bis hin zum Kannibalismus
gegenüber. Fazit: ein ebenso herausfordernder wie verstörender Zukunftsroman auf hohem
literarischen Niveau, aber mit so viel gegenwärtiger Unterströmung, dass er wahrlich
beunruhigt.
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