ANDREAS PFLÜGER: „ENDGÜLTIG“


Es mag immer wieder auch hochklassige Krimis deutschsprachiger Autoren geben, ein Meisterwerk wie Andreas Pflügers „Endgültig“ aber wird uns nur alle paar Jahre beschert. Und eines sei vorweg gesagt, der Eröffnungssatz dieses Romans hält noch mehr, als er verspricht: „Nichts beruhigt sie so wie das Reinigen ihrer Waffe.“
Da ist Jenny Aaron, von allen einschließlich dem Autor stets nur „Aaron“ genannt, in einem fulminanten Sondereinsatz einer international operierenden Spezialabteilung des BKA in Barcelona. Der trotz ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten blutig scheitert. Ihr Partner und Geliebter Niko überlebt um Haaresbreite schwer verletzt, sie selbst jedoch wird von dem seltsam charismatischen Oberganoven zum Krüppel geschossen: der gesamte Körper intakt, aber sie ist blind.
Trotzdem wollte das BKA die hochintelligente Kriminalhauptkommissarin mit dem eidetischen Gehirn und dem besonderen Gespür nicht missen und so arbeitet sie als Vernehmungsspezialistin. Nun nach fünf Jahren rufen jedoch die früheren Kollegen aus Berlin sie wegen eines mysteriösen Falles, bei dem der lebenslänglich einsitzende Frauenmörder Boenisch nach 16 Jahren Haft völlig überraschend die Gefängnispsychologin ermordet hat.
Aaron hatte den Vierfachmörder damals noch als Polizeianwärterin quasi im Alleingang auf die Anklagebank gebracht. Und nur mit ihr will er reden. Doch das spannende Verhörduell erweist sich sehr bald als nicht mehr als lediglich ein Lockmittel und Dominostein für ein Komplott von ganz anderen Dimensionen. Die Kollegen der Spezialabteilung mit der neuen Chefin Demirci und dem alten Haudegen – und Aarons engstem Vertrauten - Pavlik stehen schnell vor schier unlösbar erscheinenden Rätseln, denn da zieht einer seine Fäden, dem Menschenleben völlig gleichgültig sind.
Aaron aber erfährt nur zu genau, wer sie da trotz bester Überwachung auf Schritt und Tritt verfolgt: Holm, der Oberganove aus Barcelona. Während die Spannung mühelos immer weiter hochgefahren wird, formen Rückblenden ein hinreißendes Bild Aarons, ihres Charakters und ihrer besonderen Talente.
Das größte Faszinosum dieses Romans ist jedoch, dass Andreas Pflüger fast alles aus der Perspektive dieser Blinden schildert, die mit hochtrainierten Sinnen und einer Schallmessung nach dem Prinzip der Fledermäuse atemberaubende Aktivitäten bis hin zum Nahkampf vorlegt. Dennoch – hat sie mit ihrem Handycap eine Chance gegen Holm, den hyperintelligenten Psychopathen mit dem Samurai-Gehabe? Allerdings wissen Beide sehr bald voneinander, wie sehr sie die Leitlinien des Bushido verinnerlicht haben. Und anwenden.
In einem wahren dramaturgischen Feuerwerk wartet das lawinenhaft anwachsende Geschehen mit immer neuen Überraschungen auf. Hinreißend sind dabei neben vielen rasanten Actionszenen vor allem auch die knallharten Dialoge und zuweilen ein knorriger Humor. Die Typen sind brillant gezeichnet, doch wenn der großartige Pavlik während einer großen Entführungsaktion Holm vorhält: „Sie sind ein Psychopath mit Manieren“, rätselt man über dessen nur schemenhaft hervortretenden Charakter noch.
Alles jedoch fügt sich grandios und schlüssig bis ins hochdramatische Finale in der Abgeschiedenheit von Brandenburgs Weite. Für Aaron ist es ein endlos scheinender Kampf ums Überleben und nicht mal geahnt hat sie die tödliche Triebfeder hinter Holms raffiniertem Komplott, das einer ganz besonderen Rache galt. Gefasst ist das Alles in glasklarer Prosa von hoher atmosphärischer Dichte und so intensiv und mit größter Präzision auf das Wesentliche komprimiert, dass es den Leser erst nach der letzten Zeile, dann aber atemlos aus seinem Sog entlässt.
Fazit: selten trifft die Bezeichnung Thriller so umfassend zu wie hier und die Freunde solcher Hochspannungsliteratur werden mit „Endgültig“ ein wahres Fest feiern. Und noch eine verheißungsvolle Ankündigung aus dem Nachwort: „Aarons Geschichte ist nicht zu Ende.“ Bleibt im Übrigen dringend zu wünschen, dass dieser Tornado von Buch adäquat verfilmt wird.

# Andreas Pflüger: Endgültig; 459 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 19,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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