ELI GOTTLIEB: „BEST BOY“


„Ich war ein Best Boy, der immer haargenau alles getan hatte, was man ihm gesagt hatte.“ So charakterisiert sich Todd Aaron, faszinierender Ich-Erzähler in Eli Gottliebs neuem Roman „Best Boy“. Der etwa 50-jährige Todd lebt seit Jahrzehnten im Payton Living Center, weil er als Autist nicht ohne Betreuung auskommt.
Um genau zu sein, ist sein Autismus mit einer bestimmten Angststörung verbunden, denn er reagiert suboptimal auf Veränderungen in seiner Umwelt. Dabei ist er ja alles andere als dumm, wahrscheinlich sogar deutlich intelligenter, als die meisten vermuten. Obendrein hat er ein extrem gutes Gedächtnis und kann weit besser mit einem Computer umgehen, als man im Heim annimmt.
Bei all dem ist er sehr friedlich, völlig unfähig zu lügen und voller Angst vor Tieren. Übersensible Antennen aber hat Todd für böswillige Menschen und hier jagen ihm besonders Männer Angst ein, die seinem längst verstorbenen Vater ähneln. Der neigte damals in seiner Kindheit zu groben Züchtigungen, was um so schlimmer nachhallt, als Todd ohnehin viel intensiver in der exakt erinnerten Vergangenheit lebt als in der Gegenwart.
Entsprechend allgegenwärtig ist auch seine Mutter für ihn, eine etwas verträumte Klavierlehrerin, die ihn innig geliebt hat. So sehr, dass sie ihm als jungem Mann sogar Magazine mit nackten Frauen ins Heim mitbrachte, als Hilfe bei der Bewältigung der „Aufregung in der Hose“, unter der er mangels Freundinnen litt. Verständlich macht diese Vorzugsbehandlung auch die von Eifersucht geprägte Beziehung seines jüngeren Bruders Nate zu ihm. Der musste oft genug zurückstehen zugunsten des Sonderlings und hat jetzt neben Frau und zwei Kindern eben auch für Todds Heimaufenthalt zu sorgen.
Der aber hat dort zunächst eine unerfreuliche Phase durchzustehen wegen eines unangenehmen neuen Pflegers. Dabei fühlt er sich ansonsten gut in der geregelten Welt von Payton mit ihren teils skurrilen Bewohnern. Todd kann sich ungestört seinen Spezialgebieten Fast Food, Flugzeugen und der geliebten Popmusik von Barry Manilow, den Beach Boys und Sergio Mendes widmen.
Gerade als er nun die obskuren Erlebnisse mit dem neuen Pfleger mühsam verarbeitet hat, kommt Martine als neue Patientin ins Heim und sie nähern sich einander an. Die junge Frau mit der Augenklappe, die offenbar durch die Folgen einer Hirnverletzung beeinträchtigt ist, verführt ihn zu einer folgenreichen Rebellion: auf ihren Rat hin setzt er heimlich die tägliche Einnahme seiner Risperdal-Pille ab.
Was tatsächlich eine Art Wachwerden bewirkt und seine Sehnsucht nach Familie verstärkt. Seit einem Vorfall beim letzten Besuch von Nate und seiner Familie durfte er nicht mehr nach Hause kommen. Und nun macht sich der völlig Alltagsungeübte auf den Weg zu seinem Bruder. Waren die Szenen der Annäherung an die stark gestörte Martine schon bewegend, so entwickeln sich jene bei Nate und seiner Frau zutiefst berührend.
Eli Gottlieb versteht es außerordentlich sensibel, diesen Blick in das Innenleben des autistischen Mannes zu einem authentischen Erlebnis von höchster Eindringlichkeit zu machen. Das Wagnis, den gesamten Bogen der inneren und äußeren Ereignisse von dieser einzigartigen Hauptfigur erzählen zu lassen, ist auf brillante Weise gelungen. Wobei dem Autor zugute gekommen ist, dass er selbst einen autistischen Bruder hat.
Die klare, ehrliche Sprache bezaubert und hier gilt auch der Übertragung ins Deutsche ein besonderes Lob. Fazit: „Best Boy“ ist ein außergewöhnliches und ein großartiges Leseereignis. Und wenn dieser wunderbare Todd Aaron zum Schluss erneut mit Risperdal sediert wird und sagt: „Ich bin wieder so müde wie früher, aber es macht mir nichts aus“ - dann weiß man, dass man ihn vermutlich nie mehr vergessen wird.

# Eli Gottlieb: Best Boy (aus dem Amerikanischen von Jochen Schimmang); 253 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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