BEN LERNER: 22:04
Ben ist 33, hat soeben einen Glücksgriff getan, denn sein erster Kritikererfolg mit
seinem Debütroman beschert ihm den Vertrag eines großen Verlages für seinen nächsten
Roman. Einschließlich einem dicken Vorschuss. Doch der junge Mann aus Brooklyn hat auch
Ängste, denn einerseits ist mal wieder ein katastrophaler Wirbelsturm angesagt und
andererseits leidet er offenbar unter dem Marfan-Syndrom.
Was der Ich-Erzähler da ausbreitet, gehört zu Ben Lerners zweitem Roman
22:04 und wer der Vita des Autors nachgeht, wird feststellen, dass dieser Ben
offenbar ziemlich weitgehend ein Alter Ego Lerners ist. Bis hin zum Marfan-Syndrom, dieser
heimtückischen angeborenen Bindegewebsschwäche, die zum tödlichen Platzen der Aorta
führen kann. Und auch Lerner konnte nach seinem Starterfolg bei einem Kleinverlag dank
einer besonderen Prämierung richtig durchstarten.
Ich-Erzähler Ben erweist sich in all seinen Beklemmungen und mit seiner notorischen
Selbstbeobachtung als eine moderne Version von Woody Allens Stadtneurotiker, nur dass er
nicht in Manhattan sondern eben in dem für Künstler angesagten Brooklyn wohnt. Der Titel
allerdings verweist auf die Kultkomödie Zurück in die Zukunft um Marty
McFly, denn just um diese Uhrzeit schlug der schicksalhafte Blitz in die Rathausuhr ein.
Doch so sehr Ben auch unablässig wechselt zwischen poetischen Momenten und
Zukunftsbefürchtungen, so widmet er sich intensiv dem Kinderwunsch seiner Freundin Alex.
Dabei passt es allerdings zu seiner verspronnen Art, dass die reizende Dame ihn nur
platonisch liebt. Das unbedingt von Ben ersehnte Kind soll deshalb per Samenspende und
künstlicher Befruchtung gezeugt werden. Finanzieren will er das im Übrigen aus dem
sechsstelligen Vorschuss, den ihm seine Literaturagentin soeben avisiert hat.
Quasi nebenher gibt es allerlei teils durchaus verwirrende Abschweifungen und
Nebenhandlungen, während sich über der Stadt das Unwetter zusammenbraut. Und überhaupt
scheint es mit der Welt bergab zu gehen und Hypochonder Ben wäre eine traurige Gestalt in
einem komplexen Niedergangsszenario, wenn der Autor das Alles nicht so gewitzt und mit
stets durchscheinender Ironie geschrieben hätte.
Da kommt es dann zu skurrilen Betrachtungsweisen von Gegenwart und Zukunft, die
tatsächlich an einen heutigen Stadtneurotiker mit subtiler staunender Selbstironie
erinnert. Fazit: ein Roman für eher intellektuelle Genießer nicht ganz alltäglicher
Geschichten, die im Übrigen mit einer exzellenten Übertragung ins Deutsche verwöhnt
werden.
|