JOSEPH KANON: „LEAVING BERLIN“


In seinem fulminanten Politthriller „In den Ruinen von Berlin“ führte US-Erfolgsautor Joseph Kanon die Leser in den Sommer 1945 mitten in die frühen Ränkespiele der Großmächte um Hitlers Raketenpioniere. Alles war noch extrem ungeordnet und das mörderische Ringen kannte keine Gesetze außer dem der Skrupellosigkeit.
Sein neuer Roman „Leaving Berlin“ spielt nun um die Jahreswende 1948/49 und die noch immer in Trümmern liegende Metropole ist zwar noch nicht gänzlich geteilt, der Kalte Krieg zwischen den Westmächten und dem Ostblock aber längst losgetreten. Die Sowjets haben die Stadt abgeriegelt und während die Alliierten den Westteil mit der legendären Luftbrücke mühsam vor dem Kollaps bewahren, beginnt im Ostteil die Bildung eines eigenen Staates.
Dessen Machthaber demonstrieren auf Anregung der Sowjets ihre Fähigkeiten auch auf kultureller Ebene, wo sie über den Kulturverband Intellektuelle hofieren. Besonders schmücken sie sich mit berühmten Künstlern, die sie aus dem Exil zu sich einladen und mit Privilegien umgarnen, wie sie kein Berliner sonst zu der Zeit genießen kann. Aushängeschilder sind Bertold Brecht samt Ehefrau Helene Weigel und Anna Seghers.
Als Hauptfigur des von Beginn an allein schon durch das exzellente Zeit- und Lokalkolorit fesselnden Romans fungiert jedoch der fiktive Alex Meier. Der seinerzeit erfolgreiche halbjüdische Schriftsteller war 1933 bei der Machtergreifung der Nazis in die USA emigriert. Wegen seiner Sympathien für den Kommunismus fiel er in der inzwischen angebrochenen McCarthy-Ära aber in Ungnade und wurde ausgewiesen.
Womit ihm auch der Besuch seines Sohnes verwehrt bleiben würde. Ein willkommenes Druckmittel für die CIA, Meier nun als Spitzel anzuheuern, gewissermaßen als „Bewährungsmaßnahme“. Als umworbenes Mitglied der ostzonalen Kulturszene soll er in diesen Kreisen Informationen sammeln. Von besonderem Interesse ist dabei der Uranabbau in Bergwerken im sächsischen Aue, der dort unter unmenschlichen Sklavenbedingungen mit deutschen Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen für das sowjetische Atomprogramm betrieben wird.
Erst vor Ort erkennt Meier, dass seine wichtigste Zielperson ausgerechnet Irene ist, seine Jugendliebe, die just in den entscheidenden Kreisen verkehrt. Als Kriegerwitwe ist sie – vor allem zum Selbstschutz – mit dem hohen russischen Geheimdienstoffizier Markowski liiert. Bald schon entbrennen die alten Leidenschaften zwischen Meier und Irene erneut, zugleich gibt es hinreißende Begegnungen mit Künstlern wie Brecht. Diese wirken außerordentlich echt, weil der Autor diese funkelnden Dialoge deren konkreten Haltungen sehr real nachempfunden hat.
Doch dieses hochinteressante Geplänkel wird zum Beiwerk, als der Amateur-Spion ohne jede Ausbildung vollends in die Geheimdienstmachenschaften abrutscht und sogar zum Mörder wird. Als Irenes Bruder Erich dann aus dem Uranbergwerk flüchten kann und ein Versteck bei ihr sucht, kommt nicht nur Markowski dem bald auf die Spur. Längst hat auch die Abteilung K 5, ein Vorläufer der späteren Stasi – und bereits mit Erich Mielke in wichtiger Funktion! - Lunte gerochen.
In harten realistischen Szenen gerät Meier in ungeahnte lebensgefährliche Ränkespiele zwischen den Geheimdiensten, für die nur machtpolitische Interessen zählen, Moral und Ideale dagegen nichts. Meier wird sogar unfreiwillig zum Doppelagenten und zusätzlich wirft auch noch der KGB ein Auge auf ihn. Bei all dem soll er noch ausgerechnet die Frau ausspionieren, die er liebt.
Seine skrupellosen amerikanischen Auftraggeber aber zeigen sich auffallend desinteressiert, als er schließlich alles daran setzt, der mörderischen Gemengelage durch die Flucht aus Berlin zu entkommen. Fazit: ein hervorragend geschriebener Roman über ein sehr reales Thema, der mit seiner Rasanz und Dichte vor historischem Hintergrund auch bei verwöhnten Thrillerfreunden für ein hohes Lesevergnügen sorgen wird.

# Joseph Kanon: Leaving Berlin (aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel); 444 Seiten; C. Bertelsmann Verlag, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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