PETER WAWERZINEK: ICH
DYLAN ICH
Peter Wawerzinek ist ein Phänomen, denn als mitreißender Sprachberserker versteht er
sich zugleich auf einen geradezu hypnotisierenden Umgang mit dem, was er mit treffgenauer
poetischer Sprache herausbringt. Eine derartige filigrane Wucht ist selten und ein rares
Talent.
Nun gibt er selbst die Antwort auf die Frage, woher diese besondere Magie kommt, die erst
im persönlichen Vortrag seine ganze Virtuosität hervorbringt und den Zuhörer/Zuschauer
in den Bann zwingt. Es war der walisische Schriftsteller Dylan Thomas (1914-1953), als
dessen innigen Seelenverwandten sich Wawerzinek in seinem jüngsten Buch Ich
Dylan Ich bekennt.
Darin erklärt er sich zu dessen Wiedergeburt und beschwört eine ganze Reihe von in der
Tat verblüffenden Ähnlichkeiten oder gar Gleichheiten herauf ohne sich das Genie
des Verehrten anzumaßen. Welch tiefsitzende Bedeutung die erste Begegnung mit dem Dichter
jedoch hatte, beschreibt Wawerzinek mit kraftvollen Worten. Ganze 14 war er, als er im
Keller der Adoptiveltern erst den Alkohol für sich entdeckte, um dann als regelrechtes
Erweckungserlebnis erstmals die Stimme dieses längst im Suff verstorbenen Kultautors zu
hören.
...vernahm nur deine Stimme im Radio. Und das will ich dir sagen: Du kannst verdammt
gut lesen. Du bist ein Genie, Dylan. Du bist eine Ikone der Vortragskunst. Dass
diese weltweit faszinierende Stimme den Jungen nie wieder losließ, muss aber nicht
verwundern, kennt man ein wenig von seiner Vita. 1954 in Rostock geboren, ließ die Mutter
ihn und seine Schwester mit zwei Jahren auf dem Weg in den Westen einfach zurück und für
die Geschwister begann der getrennte lieblose Weg durch Heime und verschiedene
Adoptivfamilien.
Schon früh wurde Wawerzinek noch zu DDR-Zeiten zum Stehgreifpoeten am Prenzlauerberg, bis
ihn ganz seinem Idol nacheifernd der Alkohol abstürzen ließ. Welche
künstlerische Kraft jedoch in ihm steckte und ihn wieder ins Leben zurückbrachte, bewies
spätestens 2010 der Bachmann-Preis für einen Auszug aus dem später viel gerühmten
autobiographischen Bestseller Rabenliebe.
Seine Verehrung des walisischen Dichters führte ihn schließlich zu mehreren Reisen in
dessen Heimat, die er in dem Büchlein hinreißend beschreibt. Die Annäherung an den
Bruder im Geiste lässt ihn sogar in dessen Geburtshaus nächtigen und die
Küstenlandschaft, an der Thomas lebte, ähnelt in erstaunlichem Maße Wawerzineks
mecklenburgischer Heimat. Doch die Alkoholexzesse sind gleichfalls Parallelen intensivster
Art.
Mit einem wesentlichen Unterschied: während Thomas derartig in den Abgrund abrutschte,
dass er bereits mit 39 Jahren am Suff verstarb, gelang Wawerzinek der Weg aus der totalen
Sucht hin zum kontrollierten Trinker. Zugleich bekennt er sich zum Trinken als
unverzichtbarem Stoff für eben jenen Rausch, der den Dichter alle Dinge im Kopf auch
tatsächlich angehen lässt.
Wawerzinek schreibt all dies mit leiser Ironie und raubeinigem Witz und betört den Leser
mit einem Monolog, der nicht weniger ist als ein langes Zwiegespräch mit heißem Atem.
Fazit: ein einzigartiger Blick in den Kopf und die Seele eines rauschhaften Künstlers und
seines nächsten Seelenverwandten.
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