ERIC H. CLINE: „1177 v. Chr.“


Mit seinem für den Pulitzer-Preis vorgeschlagenen Werk „1177 v. Chr. - Der erste Untergang der Zivilisation“ widmet sich der Historiker Eric H. Cline einem der großen Wendepunkte in der Weltgeschichte. Im Vergleich zum Ende zum Beispiel des Römischen Reiches im Jahr 476 n.Chr. oder dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs scheint die Fixierung auf 1177 v.Chr. Nicht sofort schlüssig, doch der Direktor des Archäologischen Instituts an der George Washington Universität, Washington DC, macht die Wahl plausibel.
In diesem Jahr fand die Schlacht des Pharao Ramses III. gegen die sogenannten Seevölker statt. Bis heute konnte nicht exakt ermittelt werden, um welche aggressiven Völkerscharen es sich dabei handelte, die womöglich aber keine Eroberer im eigentlichen Sinnen sondern Flüchtlinge vor anderweitigen Katastrophen waren. Gesichert ist dagegen die fatale Wirkung dieses Pyrrhussieges, der as Ägyptische Imperium derartig schwächte, dass es dem Niedergang entgegentaumelte.
Allerdings führt Cline eine umfassende Erklärung herbei, warum nicht nur die langlebige Hochkultur am Nil sondern auch andere mächtige Reiche wie die der Hetiter, der Minoer oder der Babylonier und damit die gut 300 Jahre lang blühende Hochzeit des Bronzezeitalters innerhalb weniger Jahrzehnte erodierte und unterging. Dieser erste Zusammenbruch einer ganzen Zivilisation war offenbar die Folge einer ganzen Kette von Ereignissen, die in ihrer Kumulation den großen Reichen den Boden unter den Füßen zerbröseln ließ.
Der Wissenschaftler geht dazu erst einmal zurück in die Jahrhunderte großer Blüte, in der segensreiche globale Verknüpfungen entstanden mit wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verbindungen und gegenseitigen Befruchtungen. Mag Ägypten auch die zentrale Großmacht jener Ära gewesen sein, so sind die Interaktionen mit den anderen großen Reichen im Mittelmeerraum und in Vorderasien mitentscheidend für die Hochkultur des Bronzezeitalters.
Das Wort „vielleicht“ hat übrigens eine wesentliche Bedeutung in diesen wissenschaftlichen Ausdeutungen, obwohl sowohl archäologische wie auch schriftliche Quellen gute Grundlagen für Schlüsse von hohem Wahrscheinlichkeitsgrad ermöglichen. So werden als massive Wirkereignisse Naturkatastrophen genannt, denn im 12. Jahrhundert v.Chr. gab es über Jahrzehnte schwere Erdbeben. Folgen waren die Unterbrechung von Handelsrouten sowie Dürren und Hungersnöte, die wiederum zu Aufständen und zu massiven Fluchtbewegungen kumulierten.
Klimawandel, Hungerflüchtlinge und der Zerfall staatlicher Gebilde also? Cline gibt profunde Deutungen dazu ab und er schlägt einen ebenso interessanten wie beängstigenden Bogen in die Gegenwart, zu der das damalige Geflecht von Zustandsänderungen verblüffende Parallelen aufweist. Insofern ein Sachbuch von doppeltem Gewicht und das nicht nicht nur für interessierte Laien, die hier auf anspruchsvolle Weise in bisher wenig beleuchtete Zusammenhänge eingeweiht werden.
Ein Manko gilt es allerdings zu erwähnen: man hätte sich mehr Illustrationen bzw. Karten gewünscht, insbesondere für die Ära nach dem Schicksalsjahr, jene Jahrhunderte bis zum Aufstieg des hellenischen Zeitalters.

# Eric H. Cline: 1177 v.Chr. - Der erste Untergang der Zivilisation (aus dem Amerikanischen von Cornelius Hartz); 336 Seiten; Theiss Verlag, Darmstadt; € 29,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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