ALAA
AL-ASWANI: DER AUTOMOBILCLUB VON KAIRO
In seinem Bestseller Der Jakubijan-Bau widmete sich der preisgekrönte
ägyptische Journalist und Romancier Alaa Al-Aswani den komplexen Befindlichkeiten seiner
Heimat in der Gegenwart. Mit seinem neuen Roman Der Automobilclub von Kairo
geht er nun zurück in die Zeit um 1950, als Ägypten noch von König Faruq I. regiert
wurde, insgeheim jedoch die vormaligen britischen Kolonialherren das Land führten.
Ein wichtiger Hinweis vorweg: auch wenn in der Einführung eine sehr gelungene Abhandlung
über die Erfindung des ersten Autos durch Carl Benz auf diese Fährte zu locken scheint,
hat dieser Roman kaum etwas mit einer Organisation wie dem ADAC zu tun. Der 1924
gegründete Königliche Automobilclub entsprang zwar der frühen Autobegeisterung der
Ägypter, dessen mondänes Domizil aber ist hier nun Mittelpunkt einer vielfältigen
Geschichte über die zutiefst ungerechte und teils auch bigotte Gesellschaft des innerlich
zerrissenen Landes.
Der Automobilclub ist darin ein sehr spezieller Kosmos, in dem Ko, der Kämmerer des
Königs, seine Bediensteten wie Sklaven behandelt, ausbeutet und für kleinste Verstöße
drakonisch bestraft. Als offizieller Chef fungiert der Brite James Wright mit dem
typischen Selbstbewusstsein des Kolonialherren. Immerhin haben er und Ko so Erlesenes zu
bieten, dass der König Dauergast ist und hier der Spielsucht und erlesenen Speisen
frönt.
Diese Extravaganz und Dekadenz stehen nur Mitgliedern zur Verfügung, also Ausländern und
solchen Einheimischen, die wohlhabend genug für den Besitz eines Automobils sind. Ganz
der Realität nachempfunden, lässt sich der fette, selbstgefällige und sexgierige König
von einem italienischen Zuhälter reihenweise Gespielinnen zuführen, bevorzugt
Ausländerinnen. Um so satirischer erscheint da die Feststellung von Club-Chef Wright:
Ägypten ist ein kompliziertes Land mit endlosen Problemen. Ich sorge mich wirklich
um Seine Majestät, den König, der all das bewältigen muss.
Die wahren Helden dieses mit hinreißender Sprachgewalt verfassten Sittengemäldes, das
durch eine geradezu heimtückische Dramaturgie eine ungeheure Sogwirkung entwickelt, sind
jedoch andere, durchweg großartig gezeichnete Charaktere. Da erweisen sich Kamil und
Saliha Hamam als tragische ich-erzählende Sympathieträger, mindestens ebenso aber
bezaubertihr attraktiver wenngleich etwas zurückgebliebener Bruder Mahmud. Auch etliche
sonstige Rollen in dem illustren, lebensprallen Reigen sind exzellent ausgearbeitet.
Wie manche von ihnen die stete Ausbeutung und Unterdrückung ertragen, um dann
schließlich beim tatsächlich ausbrechenden Revolutionsversuch nur zögerlich oder gar
nicht mitzumachen, das ist bewegend geschildert und lässt immer wieder mitfiebern. Dem
stehen köstliche Passagen voller orientalisch-frivoler Sinnenfreuden entgegen,
insbesondere wenn es um das erotische Treiben Mahmuds mit seinen auf exakte Wochentage
terminierten Beglückungen von Rosa und Dagmar geht. Den Gipfel dieser teils flirrenden,
teils deftigen Szenen bietet allerdings Mahmuds eher grober Freund Fausi, als dieser sich
auf unverschämte Weise der abgezehrten, hässlichen aber wohlhabenden Tafida als Erlöser
ihrer Altersgeilheit andient.
Dieser vor realem Hintergrund spielende gesellschaftskritische Roman erstaunt zugleich mit
seinem nahen Bezug zur Gegenwart. Ebenso spannend wie souverän geschrieben, begeistert
Alaa Al-Aswani auch mit prachtvoller Bildhaftigkeit, zumal er niemals dem Hang zu
orientalischen Übertreibungen und Weitschweifigkeiten unterliegt. Den grandiosen
Lesegenuss dieses literarischen Meisterwerks auch für die deutschsprachigen Leser
garantiert im Übrigen die bewunderungswürdige Übersetzung durch Harmut Fähndrich.
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