LUANA LEWIS:
LÜGENMÄDCHEN
Luana Lewis arbeitet hauptberuflich als klinische Psychologin, deshalb darf man bei ihrem
Debütroman Lügenmädchen davon ausgehen, dass dieser Psychothriller in
vielem sehr realistisch ist. Alles beginnt recht ruhig mit Stella Fisher in ihrem schönen
etwas einsam in der Nähe von London gelegenen Haus und einer schneereichen Januarnacht.
Ehemann Max, wie Stella von Beruf Psychiater, kommt wegen der Verkehrsverhältnisse nicht
nach Hause. Als es dann an der Haustür klingelt und ein junges, sehr durchgefrorenes
Mädchen eindringlich darauf insistiert, eingelassen zu werden, wäre das eigentlich keine
große Sache. Stella jedoch hat sich seit einem traumatischen Erlebnis in ihrer Praxis
seit über zwei Jahren regelrecht eingegraben in ihrem Domizil und lässt sonst niemanden
ein als Max.
So wird verständlich, dass sie angesichts der Fremden Panikattacken befürchtet, wegen
denen sie ohnehin täglich Pillen schluckt. Wie sehr ihr innerer Widerstand gegen diesen
Eindringling, der sich als die 15-jährige Blue zu erkennen gibt, berechtigt war, stellt
sich jedoch erst allmählich in einem regelrechten Kammerspiel zwischen den Beiden heraus.
Neben diesem Erzählstrang, in dem Blue dem Buchtitel mit ebenso fragwürdigen wie
verstörenden Geschichten intensiv gerecht wird, gibt es einen zweiten, der die ganz und
gar nicht normalen therapeutischen Sitzungen zwischen einem Psychiater und seiner
Patientin beschreibt. Hinzu kommt eine dritte Ebene, die erkennen lässt, was Stella von
der selbstsicheren Psychologin zu einem so tristen Wesen hat werden lassen, das sich mit
Panikanfällen und völliger Abhängigkeit von Psychopharmaka in totaler Abkapselung
verbarrikadiert hat.
Auf allen Ebenen aber hat man es mit hervorragend gezeichneten Charakteren zu tun, die
einerseits sehr glaubwürdig angelegt sind und sich andererseits mit ihren
Geisteszuständen als wenig vertrauenswürdige Erzähler erweisen. Es schält sich heraus,
dass Blue nicht zufällig hier erschienen ist und einziger Fels in der Brandung scheint
Stellas alter Freund, der Polizist Peter Harris, zu sein.
Und zunehmend kommt dieser ohne Horroreffekte auskommende Thriller mit subtiler Spannung
immer mehr in Fahrt, mehr aber sei hier nicht verraten. Der Roman lebt von seiner
Intensität, der beklemmenden Atmosphäre und eben von den in sich so widersprüchlichen
Figuren und deren Beziehung zueinander. Fazit: dies ist kein spektakulärer Thriller, aber
gute Unterhaltung, die fesselt und dennoch auch als Bettlektüre taugt.
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