PATRY FRANCIS: „DIE SCHATTEN VON RACE POINT“


Eine bewegende Familiensaga legt Patry Francis mit dem Roman „Die Schatten von Race Point“ vor. Angesiedelt hat sie ihn in einer Kleinstadt am Cape Cod, Massachusetts, wo sie auch selbst lebt. In sieben Kapiteln spannt sie den Bogen von 1978 bis 2011 und jedes Kapitel erscheint beinahe eigenständig und doch entsteht eine große, in sich schlüssige Geschichte.
Am Anfang ist Hauptfigur Hallie Costa neun Jahre alt und lebt seit dem Unfalltod ihrer Mutter allein mit Vater Nick, dem allseits beliebten Arzt der portugiesischen Fischergemeinde. Als der jähzornige Kapitän Silva eines Nachts seine Frau umbringt, verfällt dessen Sohn Gus in ein katatonisches Schweigen. Als er bei einem ersten Übergriff seines Vaters helfend eingreifen wollte, wurde auch er misshandelt. Auf Drängen der Mutter hatte er sich diesmal während des heraufziehenden Unheils im Schrank versteckt und alles mit angehört.
Es sind Dr. Costa und vor allem Hallie, die Gus aus seiner Apathie zurückholen. Es entsteht eine innige Freundschaft zwischen den Kindern, aus der in Teenagertagen die erste große Liebe wird. Was sich jedoch so romantisch entwickelte, endet in einem dramatischen Gewaltakt durch den Dritten im Bunde der Freunde, durch Neil Gallagher. Nach der Abschlussfeier der 16-Jährigen brechen seine lange unterdrückten Gefühle für Hallie sich bahn und als er sie auf der feuchtfröhlichen Strandparty anzumachen versucht, zerreißt er ihr sogar versehentlich das Kleid.
Für Gus eine Situation, die schlimme Erinnerungen weckt, und so drischt er wie von Sinnen auf Neil ein. Um dann ungewollt Hallie, die schlichten will, so schwer zu verletzen, dass sie erst im Krankenhaus wieder aus dem Koma erwacht. Nichts ist von nun an wie zuvor und die Wege der Drei gehen in sehr unterschiedliche Richtungen. Hallie folgt ihrem Vater als Ärztin, während Neil ein leidlich erfolgreicher Theaterschauspieler wird. Gus aber ändert sein Leben vollkommen und wird nach religiösen Anflügen in frühen Jahren nun Priester.
Doch ganz endet die Vergangenheit selten und auch die Drei führt das Schicksal auf sehr eigene Weise eines Tages wieder zusammen. Hallie heiratet später einen Mann, dessen Herkunft sich zu ihrem Erstaunen als aus ihrem alten Umfeld erweist, was niemand so geahnt hatte. Für Gus aber kommt nach Jahren als geachteter Krankenhausseelsorger eine unerwartete Wende zum Düsteren, als eine mysteriöse Frau auftaucht, die seine Nähe sucht. Und prompt bringt ein weiterer Mordfall nach dem Vater auch den Sohn ins Gefängnis.
Wie nun die Handlungsstränge der drei Protagonisten erneut miteinander in Berührung kommen, sei hier nicht verraten, denn spannend und voller durchaus plausibler Wendungen bleibt dieses emotionsgeladene Epos bis zuletzt. Ein Happyend ist schwer vorstellbar, doch wie weit reichen Freundschaft und Liebe, wie viel Vergebung und Frieden kann es nach Verrat und Gewalt geben?
Patry Francis fesselt mit einem dichten bildhaften Erzählstrom, der mit hervorragend gezeichneten Charakteren und zutiefst menschlichen Szenen überzeugt. Fazit: wer eine im besten Sinne altmodische große Schicksalsgeschichte nach Art eines Charles Dickens zu schätzen weiß, wird hier voll auf seine Kosten kommen.

# Patry Francis: Die Schatten von Race Point (aus dem Amerikanischen von Claudia Feldmann); 588 Seiten; mareverlag, Hamburg; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN  (wan/JULIUS)

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