ANNA LYNDSEY: „IM DUNKLEN“


Sonnenschein und Licht sind unverzichtbare Elixiere des Lebens. Kaum vorstellbar erscheint es da, dass es Menschen gibt, für die genau das wegen einer extremen Photosensibilität zur grausamen Qual wird, so dass sie nur in völlig abgedunkelten Räume existieren können.
In Deutschland wurde dieses zum Glück sehr seltene Phänomen erstmals durch den Fall Hannelore Kohl bekannt, als bei der Gattin des Ex-Bundeskanzlers Helmut Kohl dieses Leiden ausbrach und sie kontinuierlich in die Isolation lichtloser Räume trieb. Verzweifelt und vereinsamt beging sie bekanntlich im Sommer 2001 Selbstmord.
Das schwierige Verstehen dessen, was bei ihr vorging, macht nun der Tatsachenbericht „Im Dunklen“ leichter, in dem die ehemalige britische Ministeriumsangestellte Anna Lyndsey unter Pseudonym – um nicht Ziel sensationsgieriger Neugieriger zu werden – ihre eigene Leidensgeschichte schildert. Die begann 2005 vergleichsweise harmlos, als die damals 33-Jährige vorm Computer ein zunehmend heftiges Brennen im Gesicht verspürte, als hätte sie einen Sonnenbrand.
Da sie eine stressbedingte psychosomatische Reaktion vermutete, meldete sie sich krank und versuchte sich bei einem Bootsurlaub zu erholen. Doch auch ohne Bildschirm brannte es nun bei Sonnenschein und es dauerte nicht mehr lange bis zu der ärztlichen Feststellung einer extremen Form von Lichtallergie. So extrem, dass schon nach wenigen Monaten normales Tageslicht sich anfühlte, als halte ihr jemand „einen Flammenwerfer vors Gesicht“. Und längst beschränkte sich die fatale Überempfindlichkeit nicht mehr aufs Gesicht und selbst Versuche mit spezieller blickdichter UV-Schutzkleidung oder schwarzen Filzumhängen halfen bald nicht mehr.
Natürlich klappert sie sämtliche Ärzte und andere Heilkundige an und versucht alle erdenklichen alternativen Behandlungsmethoden. Die Krankheit ist jedoch derart selten, dass es mangels Bedarf quasi keine medizinische oder pharmakologische Forschung dazu gibt. Hinzu kommt die grausame Erkenntnis für die junge Frau: „Die Empfindlichkeit schreitet voran.“ Allmählich erträgt sie selbst den Schein schwach leuchtender Glühbirnen kaum noch und erlebt völlige Beschwerdefreiheit nur noch in ihrem total abgedunkelten Gefängnis.
Dabei sieht man ihr die Krankheit nicht mal an, denn das extreme Brennen ist von keinerlei Ausschlag oder anderen sichtbaren Hautreaktionen begleitet. Unsentimental und ohne nennenswertes Selbstmitleid, dafür mit unterschwelligem trockenem Humor bekennt sich die Gefangene der Finsternis zu Verzweiflung und Gedanken ans Aufgeben: „Meistens will ich ja gar nicht sterben. Aber ich hätte gern die Mittel dafür in Reichweite.“
Doch es ist nicht einfach die Liebe zum Leben, die sie hat bis heute durchhalten lassen, der wichtigste Grund ist ihr Mann Pete, der im übertragenen Sinne das einzige Licht in ihren Alltag bringt. Sie war zwei Jahre mit ihm zusammen, als ihr Leiden begann, und trotz aller Verschlimmerungen und Einschränkungen jeglicher Normalität blieb er bei ihr und heiratete sie schließlich auch. Hin und wieder gibt es inzwischen zuweilen kleine Hoffnungsschimmer durch Medikamente oder wenn Momente in schwacher Dämmerung möglich werden.
Ob es jedoch eine Heilung geben kann, erscheint auch nach nunmehr zehn Jahren ungewiss. Um so beklemmender erscheint da der Vergleich mit einem Blinden – er sieht zwar gar kein Licht mehr, doch dieses kann ihm auch nichts anhaben und er kann die Eindrücke und Freiheiten des Draußenseins genießen. Fazit: ein bewegender Bericht eines kaum nachvollziehbaren Leidens und zugleich die Hymne einer starken Frau an das Leben.

# Anna Lyndsey: Im Dunklen (aus dem Englischen von Sibylle Schmidt); 253 Seiten; Goldmann Verlag, München; € 17,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: NF 306 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de