RALF ROTHMANN: IM FRÜHLING
STERBEN
Wie sehr für viele Soldaten die Zeit nach der sogenannten Stunde Null nach dem Zweiten
Weltkrieg mit dem mühsam Überlebten belastet war, das belegt das Schweigen Unzähliger
von ihnen. Ralf Rothmann hat diesem Schweigen nun mit seinem neuen Roman Im
Frühling sterben ein würdiges Fanal gesetzt.
Sein Vater war ein solch starkes Vorbild dabei, dass manches in diesem Endzeitroman fast
biografisch geraten ist. Auch Hauptfigur Walter Urban arbeitet als Melker in
Norddeutschland, hält wenig von der Durchhaltepropaganda der Nazis, wo doch das Ende so
nahe ist. Stattdessen versucht der 17-Jährige über die Runden zu kommen und ähnlich
seinem gleichaltrigen besten Freund Fiete die erste Verliebtheit zu genießen.
Doch der Wahnsinn holt sie ein, als im Februar 1945 SS-Schwergen auftauchen und die Beiden
zwangsrekrutieren übrigens für die Division Frundsberg, in die der ebenfalls 1927
geborene Günter Grass damals tatsächlich gezwungen wurde. Nach Ungarn, der massiv
vorrückenden Roten Armee entgegen werden sie gebracht. Dank seines Führerscheins wird
Walter zum Versorgungsfahrer gemacht, Fiete dagegen muss direkt an die Front.
Schon der Weg von der Etappe in den Krieg gleicht einem rapiden Abrutschen in immer neue
Schrecken, doch während sich die Freunde vorerst aus den Augen verlieren, erlebt Walter
einen ersten barbarischen Höhepunkt dieser völligen Verrohung und Entmenschlichung der
letzten Kriegsmonate. In einer Mühle sollen der alte Müller, seine Frau und ein Hirte
als angebliche Spione aufgehängt werden. Entsetzt versucht Walter sie zu retten, denn er
hat sie als unschuldige Gastgeber erlebt.
Stattdessen wird das sinnlose Verbrechen sogar mit besonders zynischer Grausamkeit
durchgezogen und Walter muss sich zurückhalten, will er nicht selbst in Gefahr geraten.
Zwischendurch erfährt er vom Tod seines Vaters nicht weit von der Front und bekommt von
seinem Vorgesetzten die Erlaubnis, nach dem Grab zu suchen. Diese Suche per Motorrad
führt durch eine geradezu unwirkliche und doch auch exemplarische Landschaft des Krieges,
die an die Endzeitszenen eines Cormac McCarthy erinnern, ähnlich niederschmetternd, nur
ungleich realer und authentischer.
Der wahre Schrecken jedoch steht dem braven, unbedarften 17-Jährigen erst noch bevor,
denn mittlerweile hat der aufmüpfige Fiete wie angekündigt versucht zu desertieren. Nun
begegnen sich die Freunde noch einmal im Kerker, Walter kann jedoch nicht nur keine Gnade
für ihn erwirken, in eiskalter Arroganz verdonnert ihn Hauptsturmbannführer Greiff sogar
zum Mitwirken im Erschießungskommando. Hilflos lädt Walter eine Schuld auf sich, über
die er selbst mit seiner Verlobten nach dem Krieg nur in Andeutungen sprechen kann.
Ansonsten aber ist da dieses ernste Schweigen und eine Art Zucken im Gesicht. Davon und
vom Ende Walters als hochanständigem und im Bergbau taub und krank gewordenem
Frührentner erzählt die Rahmenhandlung. Ein unfreiwillig schuldig Gewordener, der kaum
etwas vom erlebten Grauen erzählen mochte, aber auch nichts davon vergaß wie
Millionen deutscher Soldaten. Ebenso schonungslos und lakonisch wie sinnlich spürbar
erzählt Rothmann dies mit bestechend klarer Prosa in Sätzen, wie in Stein gemeißelt und
mit keinem Wort zu viel.
Das Schicksal von Walter und Fiete geht direkt und unvergesslich unter die Haut und mag
das Geschehen auch nicht mehr als eine Randnotiz des Krieges sein, so steht es doch für
den blanken Irrsinn jener Endzeit und das in ähnlich zeitloser Meisterschaft wie einst
Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues oder Norman Mailers Die
Nackten und die Toten.
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