YURY & SONJA WINTERBERG: „KOLLWITZ“


Käthe Kollwitz (1867-1945) ist bis heute die weltweit berühmteste bildende Künstlerin Deutschlands. Kaum ein anderer Künstler hat je das Leid und die Trauer von Menschen so zum Thema gemacht wie sie. Dass sie gleichwohl nicht der traurig-depressive Mensch war, als der sie allgemein angesehen wird, belegt die erste umfassende Biografie.
Pünktlich zum 70. Jahrestag ihres Todes in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs legen Yury und Sonja Winterberg dieses auf langjährigen intensiven Recherchen beruhende Werk vor. Für „Kollwitz. Die Biografie“ haben sie nicht nur Tagebücher, Briefe und sonstiges aus dem teilweise wenig geordneten Nachlass der Künstlerin ausgewertet. Vor allen die Gespräche mit den drei noch lebenden Enkeln erschlossen wichtige Abrundungen zu den Nachforschungen.
Aufgewachsen in einem für damalige Zeiten sehr liberalen Elternhaus in Königsberg durfte die junge Käthe Schmidt – so ihr Mädchenname – an der Münchner Künstlerinnenschule bei Ludwig Herterich studieren. Aufzeichnungen wie auch Fotos lassen erkennen, wie sehr diese „Malweiber“ das Leben genossen, und das galt auch für Käthe, die sich alsbald auch in ihren späteren Ehemann, den Arzt Karl Kollwitz verliebte. Als sie ihn 1891 heiratete, zieht das Paar nach Prenzlauer Berg, dem Armenviertel Berlins, wo er als Armenarzt wirkt.
Das Leiden der Menschen, Mütter, die ihren hungrigen Kindern nicht einmal Brot geben können, das waren Impulse von Leid und Trauer, die Käthe Kollwitz in eine tief bewegende Ästhetik umsetzte. In jener Zeit entstand auch ihr Grafik-Zyklus „Ein Weberaufstand“ nach Gerhart Hauptmanns Drama „Die Weber“. 1898 macht sie damit erstmals in der Großen Berliner Kunstausstellung Furore, auch wenn ihr die verdiente Anerkennung noch versagt bleibt.
Ihr eigenes Leid aber wurde dann Auslöser einiger der großartigsten Werke bildender deutscher Kunst. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhalf sie selbst ihrem jüngeren Sohn Peter zur Erlaubnis, sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Er fiel noch in den ersten Kriegswochen und seinen Tod verwand sie nie. Zugleich begann nun die Zeit des politisch engagierten künstlerischen Schaffens von den Grafiken und Skulpturen gegen den Krieg über Plakate zur Gleichberechtigung der Frau – sie selbst übrigens bekannte sich offen zu ihrer Bisexualität – bis hin zum großen, höchst persönlichen Mahnmal „Die trauernden Eltern“.
Diese von ebenso viel künstlerischer Majestät wie berührendem Ernst geprägten Werke und noch verstärkt durch die zahlreichen Selbstbildnisse, auf denen sie nie auch nur ein Lächeln zeigt, ließen denn auch das Image der elegisch Trauernden entstehen. Wie die Biografen jedoch eindrucksvoll belegen, war die Kollwitz, die nach dem Ersten Weltkrieg in die Akademie der Künste aufgenommen und mit dem Professorentitel geehrt wurde, ganz und gar kein freudloser oder gar depressiver Mensch. Durchsetzungsfähig, lebenshungrig und sinnlich sei sie gewesen, die von sich selbst sogar sagte, „immer verliebt zu sein.“
Andererseits wurde sie von vielen Seiten wegen der Themen ihrer Werke vereinnahmt wie von den Pazifisten und den Feministinnen. Oder den Kommunisten, nachdem sie sich 1919 auch künstlerisch mit der Ermordung von rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auseinandersetzte. Wie sehr dies ihrer unkonventionellen wie auch eigenständigen Art widersprach, bestätigten die Enkel. Der einzige „ismus“, den man ihr unterstellen darf, sei der Individualismus gewesen, diesen aber um so intensiver.
Bitter wurden die späten Jahre unter dem Nazi-Regime, das ihre Kunst als entartet ächtete. Gleichwohl wurde Käthe Kollwitz „nur“ kaltgestellt ohne denkbare weitergehende Drangsalierungen. All dies wie auch die Empfindsamkeit und Güte als Mutter und Großmutter haben die Biografen bei aller Sachlichkeit und Genauigkeit mit spürbarer Verehrung zu einer sehr niveauvollen Biografie zusammengefasst, die der Größe und der zeitlosen Bedeutung dieser unvergessenen Künstlerin gerecht wird.

# Yury & Sonja Winterberg: Kollwitz. Die Biografie; 432 Seiten, div. Abb.; C. Bertelsmann Verlag, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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