WOLFGANG SANDNER: „KEITH JARRETT“


1400 Zuhörer haben es am 24. Januar 1975 im Kölner Opernhaus persönlich erlebt, wie der Pianist am Instrument stöhnt und ächzt, sich windet und mit Tasten und Pedalen ringt, und das alles zu einem Musikrausch steigert, der als Tonträger dann weltweit Millionen begeisterte: das legendäre „Köln-Concert“ des damals 30-jährigen Keith Jarrett.
Doch der Geniestreich war nur ein früher Höhepunkt im Leben des egomanen Jazz-Visionärs, der ein Meister der Improvisation aber auch einer in der Klassik und als Komponist war und ist. Am 8. Mai 70 Jahre alt geworden, liegt nun nach Jahrzehnten die erste große Biographie zu dem einst in Allentown, Pennsylvania geborenen Klavierwunderkind vor. „Keith Jarrett. Eine Biographie“ ist sie schlicht überschrieben und verfasst hat sie der renommierte Musikjournalist Wolfgang Sandner.
Was den Professor am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Marburg besonders für die schwierige Aufgabe mit diesem störrischen, eremitischen „radikalen Verweigerer des Wortes“ prädestinierte, war die langjährige persönliche Bekanntschaft mit dem Weltstar, wozu auch Aufenthalte in dessen Privathaus gehörten. Der Verehrung für Jarrett tat es auch keinen Abbruch, als es zum Bruch zwischen ihnen kam. Und es erscheint geradezu typisch, wie der passierte: „Dass ich dieses Konzert (das Köln-Konzert) als einen seiner größten Erfolge bezeichnete, löste sein ausgesprochenes Missfallen aus und brachte unseren Dialog zum Erliegen.“
Die ohnehin nicht sehr ins Private gehende Biographie hat das jedoch nicht wirklich beeinträchtigt und die Beschreibung der Umstände jenes Konzertereignisses mit einem erschöpften Jarrett an einem indiskutablen Flügel macht dessen Hass auf diesen Publikumserfolg ein wenig verständlich. Aber auch die sonstige Musikervita über die Jahrzehnte mit den Stars der Jazzszene in den Anfängen über die umjubelten Solokonzerte des „größten Klavierimprovisators unserer Tage“ bis zur Wiederauferstehung in den 90er Jahren nach einer schweren Lebenskrise liest sich flüssig und spannend.
Die 13 Kapitel schildern mit vielen Details und zeitgenössischen Einbindungen die Werkschwerpunkte und immer wieder vermittelt Sandner die Atmosphäre eines solchen Auftrittes: „Jarretts Konzerte sind....Operationen am offenen Herzen der Musik unter Aufsicht der Öffentlichkeit“. Schon 1975 adelte ihn die New York Times, indem sie ihn in die „Liga der Jazz-Giants“ erhob. Da wirbt der Autor denn auch zu Recht mit interessanten Beispielen um Verständnis für die Idiosynkrasien dieser kapriziösen, hypersensiblen Diva, die nichts mehr hasst, als ein unaufmerksames oder gar undiszipliniertes Publikum.
Fazit: diese Biographie, die durchaus nicht unkritisch bleibt, wird gleichwohl zur anspruchsvollen Hommage an einen Künstler, der wahrlich Großes geschaffen hat und eben in seiner sehr eigenen Liga spielt.

# Wolfgang Sandner: Keith Jarrett. Eine Biographie; 361 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Berlin; € 22,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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