SCOTT TUROW: DIE ERBEN DES
ZEUS
In Scott Turows jüngstem Roman dreht sich zwar einmal mehr alles um einen Mord,
schließlich ist der studierte Rechtsanwalt einer der erfolgreichsten US-Kriminalautoren.
Dennoch ist dieser Roman mehr als nur ein Krimi, wenn hier zwei
griechisch-amerikanische Familien in offener Fehde liegen.
Die Erben des Zeus lautet der Titel und in die griechische Mythologie
verweisen nicht von ungefähr etliche Namen von Protagonisten. Am Anfang stand der Mord an
Dita Aphrodite, der knapp 24-jährigen Tochter des Immobilienpatriarchen Zeus
Kronon nach einer Gartenparty am Labour Day 1982. Trotz magerer Beweislage bekannte sich
Ditas Verlobter Cass Gianis zu der Tat und wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
In quasi täglicher Verbindung blieb er in all diesen Jahren mit seinem eineiigen
Zwillingsbruder Paul, der in dieser Zeit zum smarten Anwalt und Politiker aufstieg, der
jetzt in der Gegenwart, die im Jahr 2008 spielt, gerade zum Kandidaten für den
Bürgermeisterposten in Chicago aufgestiegen ist. Nun aber steht für Cass die Entlassung
an, der sich ein Mann jedoch heftig entgegenzustellen versucht: Hal Kronon, Bruder der
Ermordeten und Erbe des inzwischen verstorbenen Zeus.
Hal hat zwar nicht das Niveau des Alten und ist auch nicht ein derartig unersättliches
Alphatier, wie es der Patriarch bis zuletzt war, doch er hat neben dem schwer zu
zügelnden Temperament auch dessen Geschäftstüchtigkeit geerbt und den Konzern in noch
viel größere Dimensionen getrieben. Hatten seine Eltern damals das Strafmaß für Cass
aus der ursprünglich mit den Kronons befreundeten Familie Gianis akzeptiert, will Hal
nicht nur, dass Cass weiter für den Tod seiner Schwester büßt, auch Paul hält er für
mitschuldig und deshalb will er ihn vernichten.
Dazu heuert der Tycoon zwei unabhängig voneinander arbeitende Ermittler an, die recht
ungewöhnlich sind. Da ist zunächst Evon Miller, eine ehemalige FBI-Agentin. Dienstlich
fungiert sie als Leiterin der Sicherheitsabteilung des Kronon-Konzerns, privat hat die
50-jährige bekennende Lesbe derweil Probleme mit ihren Frauenbeziehungen. Ihr Gegenpart
ist mindestens so gediegen, denn Tim Brodie war damals einer der ermittelnden
Kriminalisten im Mordfall Dita, mit seinen jetzt gut 80 Jahren aber funktionieren zwar
Verstand und Instinkt noch gut, Knie und Augen dagegen um so schlechter.
Die Suche nach Beweisen gestaltet sich sehr schwierig, zumal die Polizei damals schlampig
gearbeitet hat. Die hemmungslose Hetzkampagne Hals wirkt auch nicht eben hilfreich, um so
spannender offenbart sich die höchst innige Verbundenheit der Brüder und Turow
hat sich hierfür spürbar intensiv mit der Zwillingsforschung befasst. Und nach und nach
eröffnen sich nicht nur immer neue Wendungen, auch die Ahnung von dunklen
Familiengeheimnissen verdichtet zunehmend den Eindruck, dass hier nur wenig so ist, wie es
zu sein scheint.
Nein, das entwickelt sich nicht zum actionreichen Thriller, vielmehr erlebt der Leser
gebannt, wie sich eine griechische Tragödie entfaltet, ganz so geschrieben, als wäre
Turow ein zeitgenössischer Shakespeare. So souverän wie die Verknüpfung der
Handlungsstränge sind auch die großartig gezeichneten Charaktere gelungen und es bleibt
nur ein Fazit: dies ist weit mehr als ein Krimi, dies ist ein großer literarischer Wurf.
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