SADIE JONES: „JAHRE WIE DIESE“


Im Mittelpunkt von Sadie Jones' neuem Roman steht zwar die vor anarchischer Energie geradezu vibrierende Theaterszene im London der 70er Jahre, eingangs jedoch führt die britische Erfolgsautorin ins Jahr 1961. Hier ermöglicht der 13-Jährige Luke Kanowski seiner geliebten Mutter für ein paar Stunden die Flucht aus der Irrenanstalt, in der sie seit Jahren untergebracht ist.
Dabei gibt es auch die erste flüchtige Begegnung mit Nina, die später noch so bedeutsam für Luke werden soll. Der entflieht als junger Erwachsener der Tristesse in der Provinz mit dem alkoholkranken Vater und dem Arbeiterjob nach London. Hier trifft er auf Paul Driscoll, einen leidenschaftlichen Theater-Fan, und dessen feministische Freundin Leigh. Damit haben sich drei gefunden, die die Liebe zum Theater zu festen Freundschaftsbanden verschweißt, und schon bald gründet Paul eine eigene kleine Bühne, für die Luke Stücke schreibt.
Sie leben in einer kreativen Wohngemeinschaft und feiern tatsächlich Erfolge mit ihrem Schaffen. Innerhalb der WG dagegen haben sie so ihre Probleme, zumal Lukes bindungsscheues Womanizing nicht mit Leighs heimlich gehegten Gefühlen für ihn harmoniert. Doch der gemeinsame Durchbruch mit dem Theater dehnt auch ihren Kreis interessanter Bekannter aus, was insbesondere Luke in vollen Zügen genießt.
Und dann kommt es zu der folgenreichen Wiederbegegnung zwischen ihm und Nina. Die hat sich mittlerweile zu einer ebenso attraktiven wie populären Schauspielerin entwickelt, mit der es steil aufwärts geht. Allerdings leidet sie nicht nur unter den Kindheitsmacken, die ihre narzisstische Mutter hinterlassen hat, sie hat sich auf ihrer Flucht aus deren Kontrolle in die Ehe mit dem wohlhabenden Produzenten Tony gestürzt. Der vermutlich schwul ist, was sein sadistisches Verhalten ihr gegenüber erklären könnte.
Luke aber entbrennt trotz allem mit irrealem Beschützerinstinkt für die labile Schönheit aus diesem so anderen, von Champagner und Koks geprägten Lifestyle. Das steht nicht nur in krassem Gegensatz zu der autentischen Linie, die das junge Theaterschaffen der drei Freunde so frisch verkörpert, es führt auch zu immer mehr Spannungen zwischen ihnen. Und die zerstörerische fremde Kraft von außen führt schließlich zu einer echten Zerreißprobe.
Lukes zweites Stück „Irrwege“ gilt als außerordentlich erfolgversprechend und soll auf Pauls Bühne uraufgeführt werden. Aber – auch Nina will die Hauptrolle für sich haben, gehört jedoch zum etablierten Theater ihres Gatten. Wird die große Freundschaft der drei Kreativen daran zerbrechen?! Es vibriert eben nicht nur generell in der Theaterszene sondern auch hinter den Kulissen und Sadie Jones hat ein filigranes Puzzle aus der Künstlerwelt der ungeheuer veränderungs- und erneuerungsfreudigen 70er Jahre gemacht.
Das von Kindheitstraumata stark beeinflusste Seelenleben der vier Hauptakteure sorgt dabei für spannende Wendungen, die mit großer Erzählkunst ein anspruchsvolles Lesevergnügen bereiten, das weniger mit Aufgeregtheit als mit Intelligenz und Eleganz überzeugt.

# Sadie Jones: Jahre wie diese (aus dem Englischen von Brigitte Walitzek); 411 Seiten; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 19,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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