ALBERT
SANCHEZ PINOL: DER UNTERGANG BARCELONAS
Als der spanische König Karl II. 1700 in Madrid kinderlos verstarb, wollten die
Habsburger ihren Kandidaten als Karl III. inthronisieren, während Sonnenkönig Ludwig
XIV. den Thron für seinen Enkel Philip beanspruchte. An diesem europäischen Gegensatz
entzündete sich 1701 der Spanische Erbfolgekrieg, der erst mit der Niederwerfung
Barcelonas am 1. September 1714 endete.
Aus diesem komplexen Ringen hat Albert Sanchez Pinol mit seinem Roman Der Untergang
Barcelonas ein gewaltiges Epos geschaffen. In den Mittelpunkt stellt er dazu den
keineswegs makellosen Helden Marti Zuviria, der als jetzt 98-Jähriger im Wiener Exil
seiner Pflegerin Waltraud die entscheidenden Jahre seines Lebens von der Jugend bis zur
bitteren Niederlage seiner Heimatstadt zur Niederschrift erzählt.
Mit diesem dramaturgischen Trick die Österreicherin versteht kein Katalan
erklärt Pinol, warum er erstmals einen Roman auf Spanisch und nicht in seiner
Muttersprache geschrieben habe. Aufmerksamkeit und Erfolg gaben ihm recht, schließlich
ist der 11. September noch heute als Diada ein trotziger katalanischer
Feiertag gegen die kastilischen Spanier, die ihnen damals die Autonomie und die eigene
Sprache nahmen, weil die Katalanen auf den habsburgischen König gesetzt hatten.
So historisch real wie diese Tatsache sind auch viele Protagonisten dieses gewaltigen
Geschichtsreigens, den Pinol als Abenteuer- und Schelmenroman verfasst hat. Auch
Ich-Erzähler Marti Zuviria hat es wirklich gegeben, doch man weiß so wenig über ihn,
der vermutlich zur Zeit des Falls von Barcelona ein hoher Offizier des katalanisches
Heerführers und Stadtverteidigers Antonio de Villaroel war, dass der Autor ihn zu einer
schillernden lebensprallen Figur ausgestalten konnte. Diesen Zuvi lernen wir
um 1700 als 14-jährigen Taugenichts kennen, ein langbeiniger, dunkelhaariger Bursche, den
keine Schule lange aushält.
Doch dem schlauen Katalanen gelingt es, ausgerechnet beim legendären Festungsbaumeister
Frankreichs Sebastien Marquis Le Pestre de Vauban (1633-1707) als Schüler angenommen zu
werden. Während er ganz nebenher von dessen Tochter Jeanne einiges über Liebesdinge
erfährt, lernt er mit großem Eifer das Wissen des genialen Ingenieurs kennen, der vom
Bau meisterhafter Befestigungswerke ebenso viel verstand wie von deren Verteidigung und
Eroberung. Was Zuvi nach dessen Tod immer wieder nutzbringend anzuwenden weiß.
In den verwegenen Jahren bis zum dramatischen Höhepunkt und Ende des Erbfolgekrieges
genießt Zuvi manch wilde Tage und es treten allerlei skurrile Figuren bis hin zu Huren
und Landsknechten in sein Leben. Zugleich erzählt der greise Berichterstatter detailliert
über das Kriegshandwerk seiner Zeit, Waffen, Taktiken, Spionage und vieles mehr. Je mehr
der hin- und herwogende Krieg jedoch tobt, desto zerrissener ist auch Zuvis Leben selbst,
nicht zuletzt, weil er mehrfach die Fronten wechselt und einmal sogar erst gerettet wird,
als er bereits am Galgen baumelt.
So selbstironische dieser iberische Simplicissimus jedoch auch mit deftig barocker Sprache
erzählen mag, das Ende naht mit der monatelangen Belagerung Barcelonas durch die Truppen
der vereinigten Bourbonen und Spanier. Ausführlich schildert der vielfach lädierte
Kriegsheld das immer mehr verrohende Ringen, die grausigen Kämpfe in den Festungsgräben
und Minenstollen, und die entsetzlichen Opferzahlen im Kampf und auch noch nach der
verheerenden Niederlage der stolzen Stadt sind historisch belegt.
Fazit: ein großartiges Epos, auch wenn für weniger historisch Interessierte manche der
bestens recherchierten Detailbeschreibungen zum Kriegshandwerk trotz zahlreicher
überlieferter Illustrationen ein wenig trocken erscheinen könnten. Insgesamt jedoch hat
Pinol dieses gewaltige Ringen mit solch leichtfüßiger Souveränität gemeistert, dass es
für jeden Freund realer Historienromane ein Lesegenuss ist.
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