THOMAS BRUSSIG: „DAS GIBTS IN KEINEM RUSSENFILM“


Gleich mehrfach hat Thomas Brussig sich erfolgreich literarisch mit dem Ende der DDR auseinandergesetzt. Weil er insofern eigentlich alles Interessante durchhatte, aber doch weiterhin sehr am Thema hängt, hat er sich eine freche kontrafaktische Variante für seinen neuen Roman ausgedacht: die DDR ist 1989 einfach nicht untergegangen!
Um dem noch einen draufzusetzen, kommt seine Geschichte auch noch als Autobiographie des wahren Thomas Brussig daher. Da passt denn auch der Titel „Das gibts in keinem Russenfilm“, denn mit der Floskel umschrieb man in der realen DDR Dinge, die noch aberwitziger waren, als im real-existierenden Sozialismus erwartbar. Beide Thomas Brussigs wurden 1964 in Berlin-Ost geboren und ihre ersten 25 Jahre hangeln sich mäßig interessant halbwegs an der echten Vita des Autors entlang.
Dann aber kommt 1989 und wird nur für den angehenden Schriftsteller zum Schicksalsjahr mit persönlicher Wende, wogegen die Mauer stehenbleibt und die DDR weitgehend im alten Fahrwasser weiterdümpelt. Unter dem neuen Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz (nach Honneckers Ableben) gibt es minimale Reformen wie z.B. Tempo 120 auf den Transitautobahnen, ansonsten wandelt sich Deutschland-Ost allmählich zu einer Karikatur seiner selbst.
Zur gleichen Zeit versucht sich Brussig als DDR-Intellektueller, hat es jedoch in der Bohème des Prenzlauer Bergs als stasi-verdächtig schwer, akzeptiert zu werden. Als ihm jedoch mit „Wasserfarben“ 1991 tatsächlich ein Erfolgsroman gelingt, macht ihn ein dummes Versehen zum unbeabsichtigten Dissidenten. Sein Vergehen: bei einer Signierstunde mit Stefan Heym und Hermann Kant will der Berliner SED-Chef Günter Schabowski ein Autogramm und Brussig erkennt ihn nicht.
Was den so unter explizite Beobachtung geratenen Jung-Autor, der im Übrigen demonstrativ auf seine Reisemöglichkeiten und ein eigenes Telefon als Erfolgsautor verzichtet, solange nicht alle ein Recht auf dergleichen haben, erst die internationale Aufmerksamkeit beschert. Samt attraktiven Groupies, unehelichen Kindern und dem herben SPIEGEL-Urteil, eine literarische „Lusche“ zu sein. Immerhin schafft er aber nicht nur, im selben Magazin einen Essay zu veröffentlichen, der für viel Ärger sorgt, wegen angeblicher Umsturzplanungen steht er ab 1997 sogar unter Hausarrest.
Mag manches an dieser Pseudo-Vita auch zunehmend narzisstisch daherkommen, die Pseudo-DDR nach 1989 ist raffiniert erfundene Sozialsatire. Neben der Bundesrepublik mit Bundeskanzler Lafontaine – der schon deshalb keine Zeit für Sahra Wagenknecht hätte! - geht die DDR entgegen anderen zerfallenden sozialistischen Volksrepubliken einen „Dritten Weg“. Und da erinnert einiges an diesen Kapitalismus unter Führung der Staatspartei in China, wenn sich die Krenz-Diktatur als Vorreiter mit Windkraftenergie, E-Autos und anderem mehr zu einer Art Elektrokratie entwickelt.
Reale Persönlichkeiten der Geschichte spielen im Übrigen schelmisch erfunden Rollen, wie Wolfgang Thierse als gerissener Chef des edlen „Bombastus“-Verlages oder die Linken-Politikerin Petra Pau als Nachfolgerin von Volksbildungsministerin Margot Honnecker. Und während eine gewisse Pfarrerstochter nur am Rande vorkommt, folgt Wolfgang Schäuble Lafontaine als Kanzler und ein Abkommen zwischen ihm und Krenz puscht die DDR in zukunftsträchtige wirtschaftliche Dimensionen.
Der Trick dahinter: DDR-Bürger dürfen im Westen arbeiten, während sie weiter im Osten wohnen, und die Lohnsteuer fließt in die sozialistische Staatskasse. Und mag es auch weiterhin weder echte freie Wahlen noch ein Nachlassen der Stasi-Usancen geben, kommt es im Jahr 2000 dennoch zum ziemlich absurden Versehen von Sahra Wagenknecht als Moderatorin der „Aktuellen Kamera“, die nicht weniger als die allgemeine Reisefreiheit verkündet. Thomas Brussig aber sonnt sich weiterhin im Kultstatus des quasi letzten Dissidenten des Ostens, ärgert sich allerdings, dass Kollege Ingo Schulze 2010 unbeanstandet den Literatur-Nobelpreis erhält.
Das Alles ist ziemlich schräg, ganz schön dreist erfunden und ebenso tragikomisch wie satirisch. So mancher Gedanke aber hat es auch in sich – könnte es z.B. wirklich passieren, dass eine Bevölkerung Wohlstand und soziale Sicherheit in Unfreiheit genießt und schweigt? Man denke mal an China oder aber an Russland, als dort die Wirtschaft noch florierte. Fazit: diese hintersinnige Umschreibung der Gegenwart seit 1989 beschert ein originelles Lesevergnügen. Wirkliche Nostalgie beschwört sie gleichwohl kaum herauf.

# Thomas Brussig: Das gibts in keinem Russenfilm; 383 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 19,99


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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